Kapitel 08 - Dieser Ehrwürdige wird bestraft

 



Nach der körperlichen Strafe erwarten Mo Ran noch Strafarbeiten - die er ausgerechnet in der Roten Lotos Hölle unter Chu Wannings Aufsicht verrichten soll! Missmutig tanzt er dort an, um seiner Strafe nachzukommen, indem er.... putzen muss?


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Mo Ran lag drei volle Tage lang wie ein toter Fisch im Bett. Und gerade als seine Wunden angefangen hatten zu heilen, wurde er zum Roten Lotos Pavillon beordert, um körperliche Arbeit zu verrichten.

Auch das war Teil seiner Strafe. Während der Zeit der Buße konnte Mo Ran den Berg nicht verlassen, aber er durfte auch nicht faul herum liegen. Also musste er in der Sekte aushelfen und allerlei harte, stumpfsinnige Arbeit verrichten.

Um es allgemein zu formulieren, handelte es sich bei diesen Strafarbeiten um Sachen wie: den Damen bei der Essensausgabe in der Mengpo-Halle helfen, das Geschirr zu spülen; die dreihundertfünfundsechzig steinernen Löwen an den Säulen der Naihe Brücke putzen, extrem langweilige Dokumente aus dem Archiv abschreiben, und so weiter und so fort.

Aber was würde ihm im Roten Lotos Pavillon erwarten? Das war das Anwesen von diesem Bastard Chu Wanning, die verfluchte Grube des Teufels und generell unter dem Namen Rote Lotos Hölle bekannt. Nur wenige Leute des Sisheng Peaks waren schon mal dort gewesen und jeder, der diesen Ort wieder verlassen hatte, hatte das entweder mit gebrochenen Armen oder aber mit gebrochenen Beinen getan. Daher hatte Chu Wannings Residenz zusätzlich zur Roten Lotos Hölle noch einen etwas einfacheren Spitznahmen erhalten: Der Pavillon der gebrochenen Glieder.

Es gab einen kleines Sprichwort, das unter den Schülern die Runde machte: „In diesem Pavillon haust eine Schönheit und diese Schönheit verfügt über die göttliche Frage – Tianwen. Wer das Tor der gebrochenen Glieder durchschreitet, wird schon bald die Qualen kennen lernen, wie es sich anfühlt, wenn einem die Beine gebrochen werden. Und wenn du den Wunsch haben solltest, dass man dir deine Meridiane herausreißt, dann geh einfach zum ehrenhaften Ältesten Yuheng.“

Einmal hatte es eine Schülerin gegeben, die wohl etwas lebensmüde gewesen war. Sie war kühn genug gewesen, der Schönheit des Ältesten Yuheng nachzustellen. In einer dunklen und mondlosen Nacht hatte sie sich auf den südlichen Hügel geschlichen und war auf das Dach des Pavillons gestiegen in der Hoffnung, dem Ältesten dabei beobachten zu können, wie er die Kleider ablegte und ein Bad nahm.

Man musste nicht lange nachdenken, um ahnen zu können, wie es ausgegangen war: Die junge Kämpferin wurde mit Tianwen fast zu Tode gepeitscht, bis sie nach ihrem Vater und ihrer Mutter schrie und danach für nicht weniger als einhundert Tage das Bett hüten musste.

Und Chu Wanning hatte zudem noch verkündet, dass, wenn irgendjemand wieder einmal ein solches Verbrechen begehen sollte, er dem Missetäter persönlich die Augen ausstechen würde.

Ihr seht also – es war eine absolut unverblümte Grobschlächtigkeit! Es war ein absolut unsensibles Verhalten! Es war ein absolut schrecklicher Mann!

In der Sekte hatte es einige unschuldige, dumme Mädchen gegeben, die dachten, dass, nur weil sie Frauen waren, der Älteste Yuheng Mitleid mit ihnen haben würde und er bei ihnen etwas mehr Gnade zeigte. Sie hatten immer gekichert, vor ihm Witze gemacht und versucht, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber seit der Älteste diese eine Missetäterin ausgepeitscht hatte, wagte es niemand mehr, ihn noch einmal zum Ziel solcher Scherze zu nehmen.

Der Älteste Yuheng hatte nun mal, ganz egal ob es sich bei seinem Gegenüber um Männer oder Frauen handelte, nicht das Naturell eines Gentlemans. Abgesehen von seinem hübschen Gesicht gab es an ihm nichts, was ansprechend gewesen wäre – zumindest war das die gängige Meinung der Schüler in der Sekte.

Der kleine Shidi, der die Anweisung überbrachte, sah Mo Ran voller Mitleid an. Er versuchte sich zurück zuhalten, schaffte es aber am Ende nicht: „Mo-shixiong…“

Hmm?“

„… Der Älteste Yuheng ist wirklich schlecht gelaunt. Niemand, der den Roten Lotos Pavillon zuvor betreten hatte, ist danach noch stehend wieder heraus gekommen. Vielleicht könntest du ihm sagen, dass deine Wunden noch nicht verheilt sind und den Ältesten Yuheng bitten, dass du stattdessen das Geschirr spülen kannst?“

Mo Ran war sehr dankbar für den großherzigen kleinen Shidi, aber er wies die Idee dennoch zurück.

Er sollte Chu Wanning um etwas bitten?

Also wirklich! Er hatte nicht vor, sich noch ein zweites Mal von Tianwen auspeitschen zu lassen.

Also zog er sich mit großer Mühe die Kleider an, trödelte noch etwas herum und ging dann widerstrebend und mit schwerem Fuß zum südlichen Hügel des Sisheng Peaks.

Zum Roten Lotos Pavillon. Zur Roten Lotos Hölle. Im Umkreis von Hundert Li konnte man keinen einzigen Menschen mehr um Chu Wannings Anwesen ausmachen. Niemand wollte seiner Heimstätte zu nahe kommen. Chu Wannings schlechter Geschmack und seine unvorhersehbares Temperament ließen jeden in der Sekte einen großen Bogen um ihn machen, sodass man ihn nur aus sicherem Abstand betrachten konnte.

Mo Ran war doch ein bisschen nervös. Er wusste nicht, was genau sich Chu Wanning für ihn zur Strafe ausgedacht hatte. Auf seinem ganzen Weg zum südlichen Gipfel spielten seine Gedanken verrückt. Nachdem er den dichten Bambushain hinter sich gelassen hatte, kamen auch schon die weiten Felder der wunderschönen, roten Lotosblumen in Sicht.

Es war noch früher Morgen, die Sonne erhob sich gerade erst im Osten und lag als blendende Linie auf dem Horizont. Die Stängel der Roten Lotosblüten in dem Teich streckten sich zu den flammenden Wolken am Himmel empor, sie ergänzten sich farblich in einem wunderschönem Schauspiel. Am Rand des Teiches führt eine geschwungene Brücke in Zick-Zack-Linien zum Pavillon, der in ernster, feierlicher Stille dahinter wartete. Im Hintergrund erhoben sich ehrwürdige Bergsilhouetten, von denen Schleier aus Wasserfällen herab stürzten, und die feinen, kristallenen Tropfen regneten auf die Felsen am Boden nieder. Der nasse Nebel, der sich beim Zerstieben in der Luft bildete, und das Licht, dass durch diesen Schleier glomm, erschuf eine Szene von bezauberndem Stille.

Alles, was Mo Ran bei diesem Anblick durch den Kopf ging, war: Eklig.

Wo auch immer Chu Wanning wohnen mochte, ganz egal wie schön es dort auch war, für ihn wäre es immer nur eklig!

Seht es euch doch nur mal an, so arrogant und protzig – wirklich schon eine wahrhafte Verschwendung an Prunk. Die Quartiere der Schüler liegen alle dicht an dicht beieinander und keiner hatte wirklich viel Fläche zum Ausbreiten. Aber seht euch den mächtigen Ältesten Yuheng an! Ein einziger Mann, der einen ganzen Gipfel nur für sich selbst in Beschlag nimmt. Er hatte sich sogar drei große Teiche gegraben, um sie mit den Lotos-Blumen zu füllen. Okay, zugegeben, diese Lotosart war selten und konnte zu einer wertvolle Medizin von einzigartiger Qualität verarbeitet werden, aber trotzdem…

Egal wie es stand, dieser Ort war ein Schandfleck. Wirklich zu schade, dass Mo Ran den ganzen Pavillon der Gebrochenen Glieder nicht einfach in Brand stecken konnte!

Doch alles, was ihm jetzt übrig blieb, war, diesen Ort im Stillen zu verwünschen. Da er jetzt gerade erst einmal sechzehn Jahre zählte, war er seinem Shizun einfach nicht gewachsen. Also trat Mo Ran vor die Eingangstür von Chu Wannings Residenz. Er verengte die Augen, setzte dann eine ekelhaft süßliche Mine der Sittsamkeit auf und gab sich ganz wie der ideale Schüler: Schüler Mo Ran ist hier, um seinen Meister zu grüßen.“

Mn. Komm rein.“

Das Innere des Pavillons war ein einziges, unorganisiertes Chaos. Der kaltblütige Dämon Chu Wanning war ganz in Weiß gekleidet, seine Ärmel hatte er fest nach oben gekrempelt, was ihm eine Aura der Reinheit und Enthaltsamkeit verlieh. Heute hatte er sein Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, der von einem schwarzen Ring aus Metall zusammen gehalten wurde. Er saß auf dem Boden und friemelte an einem Haufen metallener Einzelteile herum, währen er zwischen seinen Zähnen einen Pinsel hielt.

Während er Mo Ran nur einen flüchtigen Blick zu warf, sagte er leichthin und noch immer mit dem Schreibgerät im Mund: „Komm her.“

Mo Ran ging zu ihm hinüber.

Das war keine leichte Aufgabe. Man musste bedenken, dass der Boden, auch wenn es in dem Zimmer keine Bänke oder Tische gab, überall mit Bauplänen, Metall- und Holzsplittern übersät war.

Mo Ran Augenbrauen zuckten. In seinem letzten Leben hatte er Chu Wannings private Gemächer nie betreten. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, dass dieser so gut gekleidete, schöne Mann in einem solchen Chaos lebte… Ihm fehlten wirklich die Worte.

Meister, was machst du da.“

Einen Heiligen Nachtwächter.“

Einen was?“

Chu Wanning sah ein wenig ungeduldig aus, wahrscheinlich weil es sich mit dem Pinsel im Mund nicht gut sprechen ließ. „Einen Heiligen Nachtwächter.“

Mo Rans Meister war als Chu-zongshi – Großmeister Chu – bekannt, und bei diesem Titel handelte es sich nicht nur um leere Worte. Selbst Mo Ran musste zugeben, dass, wenn man durch und durch fair sein wollte, Chu Wanning ein herausragender Mann war. Egal ob nun in der Anzahl seiner Heiligen Waffen – ganze drei waren sein Eigen –, seine starken Kultivierungstechniken – vor allem im Errichten von Barrieren – oder seine Fertigkeiten im Bau von Maschinen – in jedem dieser Bereiche verdiente er es zweifellos, „der Beste von allen“ genannt zu werden. Zwar gab es da auch noch seine schlechte Laune und die Tatsache, dass man es ihm so gut wie nie recht machen konnte, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass jede größere Sekte der oberen Kultivierungswelt darum gekämpft hatte, ihn für sich gewinnen zu können.

Was den „Heiligen Nachtwächter“ anging, so wusste der neu geborene Mo Ran natürlich genau, was es damit auf sich hatte. Es war eine Art Maschine, die Chu Wanning erfunden hatte. Sie war recht leicht herzustellen und preiswert zu verkaufen, verfügte aber dennoch über starke und lang anhaltende Kampfkraft. Sie konnte die einfachen Leute in der unteren Kultivierungswelt vor den Geistern und Dämonen der Nacht beschützen.

In seinem letzten Leben waren diese raffiniert gefertigten Heiligen Nachtwächter fast schon ein Grundausstattung für jeden Haushalt geworden. Jede Maschine hatte nicht mehr gekostet als ein einfacher Besen, und sie waren weit effizienter als die Bilder von Hausgöttern und -götzen, die man an den Toren aufstellte und die mit ihren gebleckten Zähnen angeblich das Unheil vertreiben konnten.

Selbst nachdem Chu Wanning gestorben war, hatten die Heiligen Nachtwächter immer noch die bedürftigen Familien geschützt, die sich keinen hochrangigen Kultivierer leisten konnten.

Auf der einen Seite ein so großes Herz für die Schwachen und auf der anderen dann nur Gleichgültigkeit, wenn es um die eigenen Schüler ging…. Pah! Wie sehr Mo Ran ihn doch dafür verabscheute.

Mo Ran setzte sich nieder und sah auf den Heiligen Nachtwächter, der momentan nur aus einem Haufen Einzelteile bestand, während ihm immer noch Ereignisse aus seiner Vergangenheit durch den Kopf zogen. Er konnte sich nicht zurück halten, und hob eines der Glieder des Heiligen Nachtwächters auf, um es besser betrachten zu können.

Chu Wanning steckte ein paar weitere Stücke zusammen und hatte endlich die Hände frei. Er nahm sich den Pinsel aus dem Mund und funkelte Mo Ran an: „Das da wurde gerade mit Holzöl bestrichen, also rühr es nicht an.“

Oh…“ Mo Ran senkte das Teil wieder und brachte seine Gedanken wieder unter Kontrolle. Er setzte erneut sein falsches Lächeln auf, wobei er immer noch süß und vollkommen harmlos wirkte, und fragte: „Shizun hat mich rufen lassen. Möchtest du, dass ich dir helfe?“

Mhmh“, brummte Chu Wanning.

Was soll ich tun?“

Du sollst das Haus putzen.“

Mo Rans Lächeln gefror. Er sah sich in dem Zimmer um, das aussah, als hätte es gerade erst ein schlimmes Erdbeben überstanden. Er hielt wohl wissend den Mund.

Chu Wanning mochte ja ein Genie in der Kultivierung und den damit verbundenen Techniken sein – doch was das alltägliche Leben betraf, war er ein hoffnungsloser Fall.

Nachdem er die fünfte zerbrochene Teetasse fand, die man nicht aufgefegt und nur in eine dunkle Ecke geschoben hatte, hielt es Mo Ran nicht mehr aus und er fragte: „Shizun, wann hast du das letzte Mal dein Haus geputzt? Himmel, das ist vielleicht ein Chaos!“

Chu Wanning war in seine Skizzen vertieft und sah nicht einmal auf, als Mo Ran ihn ansprach. „Vor etwa einem Jahr.“

Mo Ran stockte. „Und wo schläfst du dann normalerweise?“

Was?“ Irgendetwas musste mit der Zeichnung nicht stimmen. Chu Wanning war aufgebracht und sah wegen der Unterbrechung noch ungeduldiger aus als sonst. Er rieb sich den Kopf und erwiderte dann verärgert: „Auf dem Bett natürlich.“

Mo Ran warf dem Bett einen Blick zu. Es war vollgestopft mit Maschinenteilen jedweder Art, die meisten davon schon fast fertig. Zugleich häuften sich darauf auch noch ein ganzer Arm voll Werkzeuge wie Sägen, Äxte, Sicheln und weitere Instrumente, von denen eines schärfer war als das andere. Polierter Stahl glänzte kalt.

Unglaublich. Wie schaffte es dieser Mann nur, zu schlafen, ohne sich dabei den Kopf abzuhacken?

Nachdem er schon über einen halben Tag lang bei der Arbeit war, hatten die Sägespäne und der Schmutz auf dem Boden drei ganze Mülleimer gefüllt, und das weiße Tuch, mit dem er die Bücherregale abgewischt hatte, war nun um das zehnfache so schwarz. Zur Mittagsstunde war gerade mal die Hälfte des Zimmers wieder einigermaßen geordnet.

Dieser Scheiß-Chu-Wanning – dieser Mann war wirklich schlimmer als eine zänkisches Weib!

Ein Zimmer zu putzen hörte sich eigentlich nicht nach einer schweren Strafe an und es schien wirklich keine allzu schwere Arbeit zu sein, aber wer hätte denn mit einem solch dämonischen Ort rechnen können, der seit dreihundertfünfundsechzig Tagen nicht geputzt worden war? Ganz zu schweigen davon, dass Mo Ran immer noch Wunden von der Peitsche und dem Stock am Körper trug. Selbst wenn er kerngesund gewesen wäre, hätte solch eine ermüdende Foltereinheit gereicht, um ihn halb-tot zu kriegen!

Shizun…“

Hm?“

Deine Wäsche…“ Wahrscheinlich lag der Stapel schon seit drei Monaten dort.

Chu Wanning hatte endlich einen der Arme am Heiligen Nachtwächter anbringen können. Er rieb sich die schmerzende Schulter, warf dann dem Kleiderstapel, der auf der Wäschetruhe lag und sich mittlerweile schon in einen regelrechten Berg an weißem Stoff verwandelt hatte, einen kurzen Blick zu und sagte dann kalt: „Die werd’ ich selber waschen.“

Mo Ran seufzte erleichtert. Gott sei Dank. Dann aber fragte er neugierig: „Ach? Shizun weiß, wie man Wäsche wäscht?“

Chu Wanning funkelte ihn an und nach einer Weile erwiderte er nur steif und frostig: „Wie schwer kann das denn sein? Man wirft sie ins Wasser, lässt sie ein bisschen einweichen, fischt sie wieder raus und lässt sie trocknen. Fertig.“

Mo Ran starrte ihn nur an. Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Wirklich... Was würden nur all die Mädchen, die heimlich auf Chu-zongshi standen und ihn bewunderten, sagen, wenn sie das erführen? Mo Ran glaubte mit Leib und Seele, dass das wohl Dutzende zarter Frauenherzen brechen würde, wenn heraus käme, wie eklig dieser Mann doch war. Dieser jähzornige Kerl war wirklich nur für seine äußere Erscheinung zu beneiden – ansonsten war nichts an ihm gut.

Es wird spät. Du kannst mich zum Essen in die Mengpo-Halle begleiten und den Rest danach fertig machen.“

In der Mengpo-Halle herrschte ein reges Ein-und Ausgehen. Die Schüler vom Sisheng Peak aßen immer in kleinen Grüppchen zusammen. Chu Wanning schnappte sich ein lackiertes Holztablett, stellte einige Gerichte darauf und setzte sich dann still in eine Ecke.

Dort, wo er sich niederließ, leerten sich schon bald in einen Umkreis von zwanzig Metern alle weiteren Sitze. Niemand wagte es, sich in die Nähe des Ältesten Yuheng zu setzen, aus Angst, dass man ihn irgendwie verärgern könnte und sich dann Peitschenhiebe von Tianwen einfing. Chu Wanning wusste das selbst ja auch, aber es kümmerte ihn nicht. Er saß nur als eisige Schönheit da und aß elegant das Essen in seiner Schüssel.

Aber heute war das ein wenig anders.

Mo Ran hatte ihn zur Halle begleitet, also musste er sich natürlich auch neben ihn setzen.

Jeder fürchtete Chu Wanning und Mo Ran war da keine Ausnahme. Doch da er schon einmal gestorben war, war seine Angst vor Chu Wanning jetzt nicht mehr so groß. Vor allem nun, da sich das Gefühl der Bedrohung, das er bei ihrem ersten Treffen noch empfunden hatte, langsam abschwächte, und sich der Hass für seinen Shizun, der noch aus seinem letzten Leben stammte, sich langsam wieder aufzubauen begann. Was sollte es ihn kümmern, wenn Chu Wanning stark und furcheinflößend war? Im letzten Leben war er trotzdem durch seine Hand gestorben.

Mo Ran setzte sich ihm gegenüber und nagte ruhig an seinen Schweinerippchen in süß-saurer Soße, die er sich in die Schüssel geladen hatte. Er kaute geräuschvoll an den Knochen und stapelte sie dann zu einem kleinen Haufen auf.

Chu Wanning knallte plötzliche seine Essstäbchen nieder.

Mo Ran blinzelte und hielt einen Moment lang inne.

„… Kannst du wohl aufhören, mit offenem Mund zu essen?“

Ich nage an Knochen, wie soll ich das denn bitte mit geschlossenem Mund machen?“

Dann hör auf, solche Knochen zu essen.“

Die schmecken mir aber.“

Dann verzieh dich und iss woanders!“

Als sie so mit einander diskutierten, wurden ihre Stimmen immer lauter und lauter und einige Schüler spähten bereits zu ihnen herüber.

Mo Ran bekämpfte den Drang in sich, seine Schüssel Reis genau über Chu Wannings Kopf zu stülpen. Er schürzte die Lippen, die vom Bratfett ölig glänzten, und nach einer Weile verengte er die Augen, während ein süßes Lächeln in seinen Mundwinkeln erschien. „Shizun, schrei’ doch bitter nicht so laut. Die anderen könnten das hören und würden sie sich dann nicht über uns lustig machen?“

Chu Wanning war schon immer sehr dünnhäutig gewesen und nun wurde seine Stimme wirklich leiser. Er zischte: „Raus hier.“

Mo Ran brach in schallendes Gelächter aus und fiel fast vom Stuhl.

Chu Wanning funkelte ihn nur stumm an.

Oh, Shizun, starr mich doch nicht so an. Komm, lass uns aufessen. Ich werd’ versuchen, leiser zu sein.“ Mo Ran hatte genug gelacht und begann nun wieder, sich nett zu geben, und die schmatzenden Geräusche waren nun wirklich leiser.

Als Chu Wanning sah, dass Mo Ran sich Mühe gab, zu gehorchen, entspannte sich sein Gesicht etwas und er sah nicht länger so verbittert und wütend aus. Er senkte seinen Kopf und aß dann wieder mit würdevoller Eleganz seine grünen Bohnen und den Tofu.

Dieser Friede währte nicht lang, ehe Mo Ran dann wieder begann, ihn zu ärgern. Er wusste selbst nicht, was mit ihm los war. Zusammenfassend ließ sich wohl sagen, dass, wenn er Chu Wanning in diesem Leben sah, er ihn einfach nur zur Weißglut treiben und alles nur erdenkliche machen wollte, um ihn zu reizen.

Und so musste Chu Wanning feststellen, dass Mo Ran zwar nicht mehr laut schmatze, er aber nun die Rippchen in die bloßen Hände nahm, und nun waren es die matschigen Geräusche der fettigen Haut und der vor Soße klebrigen Finger, die ihn auf die Palme brachten. Die blaue Vene auf Chu Wannings Stirn trat hervor, als er versuchte, es zu ertragen. Er senkte den Blick, weigerte sich, Mo Ran anzusehen und konzentrierte sich stattdessen voll und ganz auf das eigene Essen.

Mo Ran wusste nicht, ob er sich beim Essen einfach zu sehr hatte gehen gelassen, oder er mit den Gedanken einfach woanders war, aber, nachdem er mit einem ganz bestimmten Knochen fertig war, warf er ihn einfach in Chu Wannings Reisschüssel.

Chu Wanning starrte auf das fasrig abgekaute, widerliche Rippenstück, und die Luft, die sie umgab, gefror so schnell, dass es fast schon für das bloße Auge sichtbar war.

Mo Ran…!!“

Shizun…“ Mo Ran war nun sichtlich verängstigt. Er war sich nicht sicher, ob das, was er sagte, aufrichtig klang oder aber gelogen. „Das… ähm, hab ich… war nicht so beabsichtigt.“

Klang wahrscheinlich doch wie eine Lüge.

Eisiges Schweigen.

Sei nicht wütend. Ich nehm’ ihn ja wieder raus.“ Und tatsächlich tauchte er mit seinen Essstäbchen einmal flugs in Chu Wannings Schüssel hinab, und nahm schnell den anmaßenden Knochen weg.

Chu Wanning Gesicht war blass-blau. Er sah aus, als müsste er sich gleich vor Ekel übergeben.

Mo Ran schlug die Augen nieder und seine feinen Züge wirkten auf eine gewisse Art bemitleidenswert, so als hätte man ihm gerade Unrecht getan: „Shizun, magst du mich jetzt nicht mehr?“

Keine Antwort.

Shizun, es tut mir wirklich leid.“

Ach, vergiss es, dachte Chu Wanning. Warum musste man sich im Umgang mit jungen Schülern eigentlich immer zurück halten? Er unterdrückte den Drang, Tianwen zu beschwören und Mo Ran damit zu verprügeln, doch der Appetit war ihm gründlich vergangen, also stand er auf und sagte: „Ich bin satt.“

Was? Das ist alles, was du essen willst? Shizun, du hast ja kaum was angerührt.“

Chu Wanning wies ihn nur mürrisch ab: „Ich war nicht hungrig.“

Mo Rans Herz fühlte sich innerlich gerade so leicht und duftend an wie eine Blume, doch über seine Zunge kamen immer noch süße Worte: „Dann werde ich auch nichts mehr essen. Wir können zusammen zur Roten Lotos Höll- ähm, zum Roten Lotos Pavillon zurück gehen.“

Chu Wanning verengte die Augen: „Wir?“ In seinem Blick lag ein gewisser Abscheu sowie auch leichter Spott. „Es gibt kein wir. Zwischen den Schülern und ihrem Meister herrscht eine respektvolle Beziehung und Hierarchie, also achte auf deine Sprache.“

Mo Ran gab sorgsam auf seine Mine acht und zeigte sich äußerlich sehr verständnisvoll. Seine Augen bogen sich zu einem leichten Lächeln – sehr demütig, gehorsam und niedlich. Doch in seinem Herzen dachte er nur: Die Hierarchie zwischen Ältesten und Schülern? Auf respektvolle Art ansprechen?

Ha, wenn Chu Wanning wüsste, was in ihrem letzten Leben geschehen war, würde er wissen, dass es am Ende nur noch ihn, Mo Weiyu, gegeben hatte, der den Respekt der Welt verdiente und der zwischen ihnen beiden der Überlegene gewesen war. Ganz egal, wie edel und arrogant, wie beispiellos Chu Wanning auch gewesen sein mochte, schlussendlich war er nur noch nur ein Bröckchen Schlamm unter Mo Rans Stiefel gewesen. Er hatte ein Leben ohne Sinn fristen müssen – alleine Mo Rans Gnade unterworfen.

Mo Ran lief schneller, um mit seinem Shizun mitzuhalten, noch immer lächelte er breit und offenherzig.

Wenn Shi Mei in seinem Herzen das weiße Mondlicht war, dann war Chu Wanning eine abgeknickte Fischgräte, die sich in seinem Hals verfangen hatte. Er musste diesen Dorn entfernen und zertreten oder ihn aber hinunter schlucken, sodass er sich in seinem Bauch zersetzen würde.

Kurz gesagt: In seinem neuen Leben hatte er nun die Wahl, jedem seiner alten Feinde zu verzeihen. Chu Wanning aber würde er niemals vergeben können.

Allerdings schien auch Chu Wanning nicht die Absicht zu haben, ihn so leicht vom Haken zu lassen. Mo Ran stand vor der Bibliothek des Roten Lotos Pavillons und blickte auf fünfzig Reihen an zehn-stöckigen Regalen, während er glaubte, sich verhört zu haben.

Shizun, was hast du gesagt…?“

Chu Wanning wiederholte leichthin: „Du wirst all diese Bücher abstauben.“

Mo Ran blieb die Spucke weg.

Und nach dem Abstauben wirst du sie katalogisieren.“

Noch immer Totenstille.

Ich werde das morgen früh kontrollieren.“

Mo Ran sagte nichts, aber seine Mine verriet höchste Alarmbereitschaft.

Was zum Henker!!! Hieß das etwa, dass er die ganze Nacht in der Roten Lotos Hölle fest saß?

Aber er hatte sich mit Shi Mei treffen wollen und Shi Mei sogar gebeten, ihm in dieser Nacht seine Bandagen zu wechseln!

Er öffnete den Mund, um seinen Standpunkt deutlich zu machen, aber Chu Wanning schenkte ihm keine weitere Beachtung mehr. Er ließ seine weiten Ärmel durch die Luft wirbeln und wandte sich dann zum Ausgang der Bücherei, um sich noch ein wenig seinen Maschinen zu widmen. Hochmütig und stolz schloss er die Tür der Bibliothek hinter sich.

Mo Ran, dem man gerade das Date ruiniert hatte, stand brodelnd vor Hass auf Chu Wanning im Raum. Am liebsten hätte er alle von Chu Wannings Büchern verbrannt!

Nein, Moment mal! Nachdem er kurz darüber nachdachte, fiel ihm etwas ein, was sogar noch viel schlimmer war...


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Li: Dies ist ein traditionelles chinesisches Längenmaß. Ein Li entspricht heute genau 500 Metern. Hier ist das eher im übertragenen Sinne gemeint – die Berggipfel sind nicht so weitläufig



Kommentare

  1. Ich fühle mich bei diesem Kapitel unfreiwillig an mein eigenes Zimmer erinnert, das mich anklagend mustert und sagen möchte: "Und wann wird bei mir denn mal wieder der nächste Groß-Putz
    anstehen?" (verlegenes Kichern meinerseits)

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