Kapitel 1 - Dieser Ehrwürdige stirbt
Nach einem Leben voller Gewalt, Blutvergießen und Machtgier, in dem er die Spitze der Kultivierungswelt erklommen hatte, nimmt sich Mo Ran, den man als Kaiser Taxian-Jun kennt, das Leben - kurz bevor die Rebellenarmee seinen Palast einnehmen kann. Jeder, den er einst geliebt hatte, war tot und mit einem starken Gifttrank will er ihnen in die Unterwelt hinab folgen.
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Selbstmord
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Bevor Mo Ran der Kaiser wurde, bezeichneten ihn die Leute immer als einen Hund. Die Dorfbewohner verspotteten ihn wie einen streunenden Hund, sein Cousin nannte ihn einen dummen Straßenköter, und die Frau, die ihn aufgezogen hatte, übertraf sie alle und nannte ihn einen Hundesohn.
Natürlich gab es auch Vergleiche, die ihn zwar mit Hunden in Verbindung brachten, aber dennoch nicht so demütigend waren. Zum Beispiel behaupteten alle seine One-Night-Stands scheinbar entrüstet, dass seine Energie im Bett vergleichbar mit der eines Alphahundes war. Obwohl seine süßen Worte die Seele in ihren Bann ziehen konnten, trüge er unter der Gürtellinie eine Waffe von solchem Potential mit sich herum, dass man als sein Liebhaber um das eigene Leben fürchten müsse. Doch nach ihrer gemeinsamen Nacht machten sie dann alle eine Kehrtwende und gaben mit ebenjenen Worten vor anderen an, sodass bald jeder im Freudenviertel wusste, dass dieser Mo Weiyu sowohl mit einem hübschen Gesicht wie auch mit starker Potenz und Ausdauer gesegnet war. Diejenigen, die an seinen Fähigkeiten teil hatten, waren zufrieden, und alle anderen waren beeindruckt.
Tatsächlich waren all diese Namen ziemlich zutreffend - Mo Ran war wirklich wie ein verspielter Hund, der trottelig den Kopf schüttelte und mit dem Schwanz wedelte.
Erst als er Kaiser der Kultivierungswelt wurde, verschwanden diese Titel augenblicklich.
Eines Tages schenkte ihm die kleine Kultivierungssekte eines fernen Landes einen jungen Welpen.
Der Welpe hatte ein grau-weißes Fell und trug drei Haarbüschel auf der Stirn, die die Form von Flammen hatten, was ein bisschen an einen Wolf erinnerte. Allerdings war er nur so groß wie eine Melone und da er so rundlich und klein war, wirkte auch wie eine solche. Trotz seiner geringen Größe schien der Welpe ein starkes Ego zu haben. Er rannte ohne Hemmungen durch die Halle und versuchte etliche Male, die hohen Stufen des Throns zu erklimmen, um den Mann, der dort völlig ruhig da saß und ihn nur neugierig betrachtete, anspringen zu können. Doch seine Beine waren zu kurz und nach etlichen Versuchen musste er aufgeben.
Mo Ran starrte eine Weile auf dieses energiegeladene, aber scheinbar hirnlose Haarknäuel und musste dann plötzlich lachen. Kopfschüttelnd schalt er leise den kleinen Köter, als der es immer wieder versuchte.
Der kleine Welpe wuchs schnell zu einem großen Hund heran. Dieser große Hund wurde dann zu einem alten Hund, und dieser alte Hund wurde schließlich zu einem toten Hund.
Mo Ran schloss seine Augen und öffnete sie wieder. Sein Leben mit all den Höhen und Tiefen, dem Wechsel aus Ruhm und Schande schien in nur einem Wimpernschlag vorbeigezogen zu sein. Ehe er es sich versah, waren schon zweiunddreißig Jahre verstrichen.
Er war es leid mit allem, was ihn umgab, zu spielen und sich damit zu vergnügen – für ihn hatte alles seinen Reiz und seine Farben verloren. In den letzten Jahren waren alle bekannten Gesichter um ihn her verschwunden, und auch der Hund mit den Flammen auf der Stirn hatte ihn verlassen. Er spürte, dass es auch für ihn an der Zeit war, zu gehen.
Dass es Zeit war, all das zu beenden.
Er nahm eine makellose, pralle Traube aus der Obstschale und zog ihr langsam die violette Schale ab. Seine Bewegungen waren ruhig und erfahren, wie die eines Stammesoberhauptes in seinem Zelt, wenn er die Kleider von seiner Lieblingskonkubine streifte; die trägen Handgriffe von jemandem, der wenig Interesse zeigte. Das glänzende Fruchtfleisch der Traube zitterte leicht in seinen Fingern, ihr Saft lief aus und schimmerte in einem herrlichen Dunkel-Violett, so lebhaft wie die Federn der Wildgänse, wenn sie dem Sonnenuntergang entgegenflogen, oder wie die welken Blüten des Zierapfels, die im späten Frühling fielen.
Oder wie die Farbe von verdorbenem Blut.
Er betrachtete seine Finger, als er die schwere Süße der Traube kostete und hinunter schluckte und dann träge den Blick hob.
Es ist Zeit, dachte er.
Zeit für ihn zur Hölle zu fahren.
Mo Ran, der den Zweitnamen Weiyu trug. Der erste Kaiser der Kultivierungswelt.
Es war kein leichter Weg gewesen, um die Position zu erreichen, die er nun inne hatte. Es hatte nicht nur außergewöhnliche spirituelle Fähigkeiten erfordert, sondern auch ein dickes Fell, Schamlosigkeit, sowie wenig Achtung vor der Meinung anderer.
Bevor er die Macht an sich riss, hatten sich die zehn großen Sekten der Kultivierungswelt in einer Pattsituation befunden und ununterlassen um ihr Territorium gekämpft. Und trotz all dieser Kämpfe, war keine in der Lage gewesen, sich an die Spitze zu stellen und einen Schlussstrich unter all das zu ziehen. Hinzu kam, dass alle Sektenleiter sehr belesene Leute waren. Selbst wenn sie sich gerne den Herrschertitel gegeben hätten, so hatten sie zu viel Angst vor den Chronisten gehabt und von dem Bild, mit dem dann sie in die Geschichte eingehen würden.
Doch Mo Ran war anders. Er war ein Schuft.
Er tat all die Dinge, die kein anderer zu tun wagte. Er trank die stärksten und köstlichsten Weine der Welt, heiratete die schönste Frau auf Erden, machte sich mit dem Titel „Taxian-Jun“ zum Anführer der Kultivierungswelt und erklärte sich schließlich zum Kaiser.
Zehntausende Menschen knieten vor ihm nieder. Alle, die es nicht taten, wurden gejagt und abgeschlachtet. In all den Jahren der Tyrannei, wurde die Welt der Kultivierung im Blut ertränkt und Zerstörung, Hunger und Elend überrollten das Land. Zahllose rechtschaffene Männer starben den Märtyrertod und die Rufeng Sekte, eine der zehn größten Sekten, wurde vollständig ausgelöscht.
Später konnte selbst Mo Rans angesehener Meister seinen dämonischen Klauen nicht entkommen. Im finalen Endkampf mit Mo Ran wurde er von seinem einst so geliebten Schüler geschlagen und im Palast eingekerkert. Niemand wusste, was danach mit diesem Mann geschehen war.
Das einst so große, wunderbare Land mit seinen klaren Flüsse und ruhigen Seen wurde nun unter dem alles verpestendem Schleier des Chaos’ erstickt.
Dieser Hund von einem Kaiser interessierte sich nicht für die gelehrten Schriften und Studien und zudem kümmerte er sich auch nicht um Taboos oder Hemmschwellen. Daher nahmen seine lächerlichen und absurden Beschlüsse während seiner Herrschaft kein Ende. Zum Beispiel, wie er die Jahreszyklen seiner Regierungszeit betitelte.
In den ersten drei Jahren seiner Herrschaft lautete der Name “Wang Ba”, den er sich ausdachte, während er am Teich saß und Fische fütterte.
In den darauf folgenden drei Jahren lautete der Name der Ära “Gua”. Er hatte im Sommer im Hof die Frösche quaken gehört und behauptete, dies sei eine Botschaft des Himmels, die man nicht ignorieren könne.
Die Gelehrten des Landes dachten, dass es keine schlimmeren Namen als “Wang Ba” oder “Gua” geben könnte, aber da unterschätzten sie Mo Weiyu sehr.
Während des dritten Jahreszyklus’ begannen sich im Land die Unruhen zu mehren. Ob es sich nun um buddhistische, taoistische oder spirituelle Kultivierende handelte - die einst friedlichen Menschen konnten Mo Ran tyrannische Herrschaft nicht mehr länger ertragen und begannen sich zu erheben und zu rebellieren.
Und so entschied sich Mo Ran schließlich nach reichlicher Überlegung und nachdem er unzählige Vorschläge verworfen hatte, für einen Namen, der Himmel und Erde erschütterte und Geister ebenso wie Götter zum Weinen brachte: „Ji Ba“.
Die Absichten, die hinter diesem Namen standen, waren gut. Der Name, den sich der Kaiser ausgedacht hatte, war inspiriert von der Botschaft des Friedens, und er war eine Aufforderung, dass jeder die Waffen niederlegen und man das Kämpfen beenden sollte.
Leider klang dieses Wort furchtbar peinlich, wenn man es im normalen Sprachgebrauch benutzte. Und noch schlimmer erging es den Menschen, die weder lesen noch schreiben und sich daher in ihrer Interpretation nur auf die allgemeine Aussprache stützen konnten.
Das erste Jahr wurde „Ji Ba Yuan Nian“ genannt. Eigentlich sollte das „das erste Jahr der beendeten Kämpfe“ heißen, aber warum nur klang es eher wie „das Jahr der Eier und des Schwanzes“?
Das zweite Jahr hieß „Das zweite Jahr des Schwanzes“.
„Das dritte Jahr des Schwanzes“.
Hinter vorgehaltener Hand schimpften die Leute: „Das ist doch lächerlich! Warum bleibt es bei der Bezeichnung nicht einfach bei „Schwanz“ und damit hat sich die Sache? Stattdessen immer noch dieser Jahreszusatz; man kann ja auch gleich weiter machen und es „Die Ära des Schwanzes“ nennen! Wenn man das nächste Mal einen Mann sieht, braucht man ihn nicht mehr zu fragen, wie alt er ist. Frag ihn einfach, wie viele Jahre des Schwanzes er schon hinter sich hat! Ein hundert Jahre alter Mann wird einfach ein hundertjähriger Schwanz genannt!“
Nach drei quälenden und demütigenden Jahren sollte der Name „Ji Ba“ endlich ersetzt werden.
Die Menschen im ganzen Land warteten voller Angst darauf, wie der Kaiser den vierten Jahreszyklus benennen würde. Aber dieses Mal hatte Mo Ran nicht die Absicht, einen anderen Namen zu wählen, denn dies war das Jahr, in dem der Aufruhr und der Unmut, der sich im ganzen Land aufgebaut hatte, nun endgültig ausbrach. Nachdem sie fast zehn Jahre lang Mo Rans tyrannische Herrschaft durchgestanden hatte, schlossen sich die rechtschaffenen Menschen, die Helden und Kultivierer gleichermaßen zu einer Millionenarmee zusammen, um Mo Weiyu in seinem Palast zu stürzen.
Die Welt der Kultivierung brauchte keinen Kaiser.
Und schon gar nicht so einen Tyrannen wie ihn.
Nach Monaten voller blutiger Schlachten erreichte das Heer der Rebellen schließlich den Fuß des Sisheng Peak. Er lag in der Mitte von Sichuan, in einer Gegend, die für ihre steilen und gefährlichen Berggipfel bekannt und das ganze Jahr über in Wolken und Nebel gehüllt war. Und genau auf diesem Gipfel thronte Mo Rans Kaiserpalast.
Es war bereits zu spät, jetzt noch einen Rückzieher zu machen, wo ihr Ziel, den Tyrannen zu stürzen, nur noch einen Steinwurf entfernt vor ihnen lag. Und doch war dieser letzte Schritt auf seine eigene Art wohl auch der gefährlichste. Denn als ihnen nun der so verheißungsvolle Glanz des Sieges direkt vor Augen lag, begann die einst so unanfechtbare, in sich geschlossene Armee, die sich gegen den gemeinsamen Feind Mo Ran verbündet hatte, langsam zu bröckeln. Sie wussten alle, dass mit der Zerstörung der alten Herrschaft eine neue Ordnung aufgebaut werden musste. Niemand wollte jetzt in diesem letzten Gefecht seine Energie verschwenden, also gab es auch niemanden, der die Vorhut bilden und den Angriff auf den Berg anführten wollte.
Alle fürchteten, der durchtriebene und bösartige Tyrann würde plötzlich vom Himmel herabsteigen, seine weißen Zähne wie eine wilde Bestie fletschen und die Menschen, die es wagten, sein Reich zu belagern und ihn zu bedrohen, in Stücke reißen, bis nichts mehr von ihnen übrig war.
Jemand sagte mit grimmiger Miene: „Mo Weiyus spirituelle Kräfte sind unfassbar stark und er selbst ist voller Heimtücke. Wir müssen vorsichtig sein, oder wir werden ihm am Ende noch in die Falle gehen.“
Die Generäle nickten in vollem Einverständnis.
Doch in diesem Moment trat ein außergewöhnlich schöner, junger Mann nach vorn; seine Gesichtszüge wirkten stolz, fast ein bisschen überheblich. Er trug eine leichte, silberblaue Rüstung mit einem Gürtel in Form eines Löwenkopfes. Sein Haar war zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen gebunden, der von einem Ring mit einer fein gearbeiteten, silbernen Haarspange zusammen gehalten wurde.
„Wir haben es bereits bis zum Fuß dieses Berges geschafft“, sagte der junge Mann mit finsterer Mine. „Und ihr lungert immer noch hier unten herum und weigert euch, hinaufzugehen? Wartet ihr etwa darauf, dass Mo Weiyu selbst zu euch herunter kommt? Was seid ihr doch für eine Gruppe feiger Versager!”
Bei diesen Worten kam es sofort zum Aufruhr um ihn her.
„Xue-gonzi, was redest du da? Wen nennst du hier feige? Ein Soldat muss nicht nur tapfer sein, sondern auch umsichtig handeln und mit Bedacht vorgehen. Wenn wir alle so dreist und rücksichtslos vorpreschen würden wie du, wer würde dann die Verantwortung übernehmen, wenn etwas schiefgehen sollte?“
„Ha, Xue-gonzi ist der stolze Sohn des Himmels und wir sind nur einfache Leute“, grinste ein anderer höhnisch „Wenn der Liebling des Himmels es nicht abwarten kann, gegen den Kaiser der sterblichen Welt zu kämpfen, dann nur zu! Du kannst gerne als Erster den Berg erstürmen. Wir werden solange schon mal das Siegesbankett errichten und am Fuße des Berges auf deine glorreiche Rückkehr warten. Bring uns einfach nur Mo Weiyus Kopf! Hört sich doch super an, oder?“
Diese Bemerkung ging doch etwas zu weit. Ein alter buddhistischer Mönch, der sich der Armee angeschlossen hatte, hielt den jungen Xue-gonzi, der gerade fast die Beherrschung verlor und angreifen wollte, schnell zurück und er redete ihm freundlich zu. „Xue-gonzi, bitte hör auf meine Worte.“ Sein Tonfall klang mild und schmeichelnd. „Dieser alte Mönch weiß, dass du und Mo Weiyu eine tiefe persönliche Fehde habt, aber die Sache mit der Erstürmung des Palastes ist sehr wichtig und darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Du musst an das Wohl aller denken. Verlier’ dich nicht in deinen Emotionen.”
Der Name dieses jungen Mannes, den jeder hier mit „Xue-gonzi“ ansprach, lautete Xue Meng. Vor mehr als zehn Jahren war er von allen als ein wahres Wunderkind gepriesen worden, weswegen er auch diesen Beinamen „Liebling des Himmels“ trug.
Doch alles ändert sich mit der Zeit und Xue Meng hatte nicht mehr länger die hohe Stellung wie zu seiner Jugend. Nun musste er sogar all den Spott und das respektlose Getratsche dieser Menschen über sich ergehen lassen, nur um eine Chance zu bekommen, Mo Ran auf dem Berg zu besiegen.
Xue Mengs Gesicht war vor Wut verzerrt, seine Lippen zitterten, aber er gab sein Bestes, um sich zurückzuhalten und fragte: „Und wie lange habt ihr also vor, hier rum zu sitzen und zu warten?“
„Wir sollten uns zumindest einen Überblick über die Gegend verschaffen, oder?“
„Ja, was ist, wenn Mo Weiyu einen Hinterhalt vorbereitet hat?“
Der alte Mönch, der noch in der Nähe war, fügte ebenfalls hinzu: „Xue-gonzi, bitte sei nicht so ungeduldig. Da wir es nun schon bis zum Fuße des Berges geschafft haben, ist Vorsicht geboten. Egal wie man es betrachtet, Mo Ran ist in seinem Palast gefangen und stellt keine wirkliche Bedrohung mehr für uns dar. Er kann sich nirgendwo mehr verstecken. Warum sollten wir etwas überstürzen, was keine hohe Dringlichkeit mehr hat? In unseren Reihen haben wir so viele Menschen, mehrere Adlige und auch hochrangige Beamte. Wenn sie ihr Leben nur wegen unbedachtem Handeln verlieren würden, wer würde dafür dann die Verantwortung übernehmen?“
Xue Meng explodierte fast vor Wut: „Die Verantwortung? Dann lass mich dich fragen, wer für das Leben meines Shizun die Verantwortung trägt? Mo Ran hat meinen Shizun jetzt schon zehn Jahre lang in seinem Palast gefangen gehalten! Zehn ganze Jahre lang! Mein Shizun ist jetzt gerade auf diesem Berg, direkt vor meiner Nase! Wie könnte ich da noch ruhig warten?“
Als Xue Meng seinen Shizun erwähnte, konnten die Umstehenden nicht anders, als einen leichten Stich der Schuld zu fühlen. Einige schauten beschämt, andere wichen seinem Blick aus, niemand war in der Lage ihm zu antworten.
„Vor zehn Jahren, als sich Mo Ran den Titel Taxian-Jun gab, schlachtete er alle zweiundsiebzig Städte der Rufeng-Sekte ab – und dasselbe hatte er auch mit den übrigen neun großen Sekten vor. Später erklärte sich Mo Ran zum Kaiser und wollte jeden einzelnen von euch töten! Wer konnte ihn während dieser beiden Katastrophen am Ende aufhalten? Wenn mein Shizun nicht gewesen wäre, wenn er nicht sein eigenes Leben für euch alle riskiert hätte, wäre dann jetzt noch irgendjemand von euch am Leben? Würdet ihr dann noch hier stehen und mich so großspurig belabern?“
Schließlich hustete jemand und sagte vorsichtig: „Xue-gonzi, bitte sei nicht böse. Was Großmeister Chu betrifft, so … stehen wir alle in seiner Schuld und sind ihm dafür ewig dankbar. Aber wie du schon sagtest, ist er jetzt schon seit zehn Jahren inhaftiert. Wenn Mo Ran ihm etwas antun wollte, wäre es doch schon längst … Nun ja, du hast nun schon zehn Jahre lang gewartet. Ein paar weitere Augenblicke mehr sind da doch auch nicht so schlimm, richtig?“
„Richtig? Ach, schieb’ dir deinen Floskeln doch in den Arsch!“
Die Augen des Mannes wurden groß und er schnappte vor Entrüstung nach Luft: „Wie kannst du es wagen?!“
„Was sollte ich nicht wagen? Shizun hat sein eigenes Leben riskiert, um euch alle zu retten. Und ihr seid … ihr seid einfach…“ Xue Meng konnte nicht mehr weiter sprechen, stattdessen verschluckte er sich und schluchzte dann: „Ihr seid dieses Opfer nicht wert!“
Nachdem er geendet hatte, drehte sich Xue Meng abrupt um, seine Schultern zitterten leicht, seine Augen hielten die Tränen zurück.
„Wir haben nie gesagt, dass wir Großmeister Chu nicht retten würden…“
„Genau. Jeder hier weiß, was Chu-zongshi für uns getan hat. Wie könnten wir das auch vergessen? Xue-gonzi, was du hier machst, ist nichts weiter als Rufmord! Dass du uns hier als so undankbar dastehen lässt – das lasse ich nicht auf mir sitzen!“
„Aber war Mo Ran nicht auch ein Schüler von Großmeister Chu?“, fragte jemand mit leiser Stimme. „Eigentlich ist es doch nur rechtens, dass der Meister die Verantwortung übernimmt, wenn sein Schüler sich später als so ein Teufel entpuppt. Wie das Sprichwort schon sagt, ist der Vater verantwortlich, wenn der Sohn nicht unterrichtet wird, und der Meister hat versagt, wenn er dem Schüler keine Disziplin beibringen konnte. Vielleicht war diese Entwicklung einfach unvermeidlich. Warum muss man sich jetzt so darüber aufregen?“
Nun, dies ging wirklich zu weit und sofort prangerte auch schon jemand diese Worte an und rief: „Lass den Blödsinn! Pass auf, was du sagst!“ Mit besänftigender Mine drehte sich der Mann, der den anderen gerade gescholten hatte, zu Xue-Meng um und begann: „Xue-gonzi, mach dir keine Sorgen…“
„Wie kann ich mir keine Sorgen machen?“ unterbrach ihn Xue Meng, sein Blick war grimmig und wild. „Ihr alle habt gut reden! Steht nur da und labert, aber das ist mein Shizun! Meiner!!! Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen! Ich weiß nicht einmal, ob er tot ist oder noch lebt, ganz zu schweigen wie es ihm geht! Was glaubst du denn, warum ich sonst hier stehen würde?“ Sein Atem war rau und abgehackt, die Ränder seiner Augen röteten sich, als er nun fort fuhr: „Glaubst ihr etwa, wenn ihr einfach wartet, kommt Mo Weiyu selbst den Berg herunter, kniet vor euch nieder und bittet um Vergebung?“
„Xue-gonzi…“
„Außer Shizun habe ich niemand sonst mehr auf dieser Welt.“ Xue Meng riss seinen Ärmel aus dem klammernden Griff des Mönches frei. „Also gut, ihr werdet mich nicht begleiten?“, fragte er heiser und grimmig. „Dann geh’ ich allein!“
Und ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, wandte er sich erhobenen Hauptes um und erklomm den Berg. Man sah nur noch diese einsame Person, die mit nur einem einzigen Schwert bewaffnet den Gipfel hinauf stieg.
Der kalte, schwere Wind trug das Geräusch von tausenden flatternden Blättern mit sich. Im dichten Nebel war es, als flüsterten und bewegten sich unzählige böse Geister und klagende Dämonen durch Berge und Wälder.
Ganz alleine erklomm Xue Meng den Berggipfel. Er ging hinauf zu Mo Rans beeindruckendem Palast, der vom sanften Kerzenlicht erhellt wurde und in der dunklen Nacht fast wie ein Signalfeuer leuchtete. Als er sich näherte, entdeckte er am Fuße des Himmeldurchbohrenden Turm drei Gräber. Er trat näher, um sie etwas besser betrachten zu können, und sah, dass auf dem ersten Grabhügel bereits hohes Gras wucherte. Auf dem Grabstein waren in krummen, fast schon kindlichen Schriftzeichen die folgenden Worte eingemeißelt: „Das Grab der dampfenden Gemahlin Chu“.
Anders als das Grab der „dampfenden Gemahlin“ war das zweite Grab erst kürzlich angelegt worden und noch mit frischer Erde bedeckt. Die auf diesem Grabstein geschriebenen Worte lauteten: „Das Grab der durchgebackenen Kaiserin Song“.
Xue Meng war sprachlos.
Wäre dies vor zehn Jahren geschehen, wäre er bei diesem absurden Anblick unfreiwillig in Gelächter ausgebrochen.
Damals waren er und Mo Ran noch gemeinsam Schüler unter demselben Shizun gewesen und Mo Ran war für seine Streiche und Scherze bekannt. Und obwohl Xue Meng seine Art und seinen Charakter nie wirklich hatte ausstehen können, so hatte dieser Mann es doch von Zeit zu Zeit geschafft, ihn zum Lachen zu bringen.
Der Himmel allein wusste, was es mit dieser „dampfenden Gemahlin“ und der „durchgebackenen Kaiserin“ auf sich hatte. Wahrscheinlich waren es Grabsteine, die der gelehrige Kaiser Mo für seine beiden Frauen errichtet hatte. Die Art der Namensgebung war „Wang Ba“, „Gua“ und „Ji Ba“ sehr ähnlich. Warum er allerdings seine eigene Kaiserin und seine Ehefrau mit solchen Spitznahmen beehrt hatte, wusste nur er selbst.
Xue Meng sah sich das dritte Grab an, in dem ein geöffneter Sarg ruhte, der sich dem Nachthimmel präsentierte. Allerdings lag niemand darin, und der Grabstein war noch nicht einmal beschriftet worden.
Dennoch stand vor dem Grab ein Krug mit Wein der Marke „Birnenblütenweiß“, eine Schüssel mit Wontons in öliger Chilisauce, die bereits seit langem erkaltet waren, und noch ein paar Teller mit betäubend scharfen Beilagen - die alle zu Mo Rans Lieblingsspeisen gehören.
Xue Meng starrte das Grab einige Augenblicke lang ausdruckslos an, bevor sein Herz plötzlich ein Schlag des Entsetzens machte. Konnte es denn sein, dass Mo Weiyu nicht vorhatte zu kämpfen? Dass er sich bereits sein eigenes Grab geschaufelt hatte und bereit war zu sterben?
Er brach bei diesem Gedanken in kalten Schweiß aus.
Er weigerte sich das zu glauben. Mo Ran gehörte zu denen, die sich in ihre Vorhaben verbissen und bis zu ihrem letzten Atemzug nicht davon abließen; er gehörte zu denen, die mit den Worten „ermüden“ oder „aufgeben“ nichts anzufangen wussten. Mit dieser Persönlichkeit würde er die Rebellenarmee immer bis zum letzten Atemzug bekämpfen, wie konnte er also… ?
In den vergangenen zehn Jahren hatte Mo Ran auf dem Gipfel seiner Macht gestanden. Was hatte er in diesen Jahren gesehen? Was war in dieser Zeit mit ihm geschehen…?
Niemand konnte das sagen.
Xue Meng drehte sich um und ging wieder in die Schwärze hinein. Mit großen Schritten marschierte er auf die hell erleuchtete Wushan-Halle zu.
In der Wushan-Halle saß Mo Ran auf seinem Thron, er hatte die Augen zusammen gekniffen, sein Gesicht war leichenblass.
Xue Meng hatte recht: Mo Ran war fest entschlossen zu sterben. Er hatte das Grab dort draußen eigenhändig für sich selbst geschaufelt. Vor zwei Stunden hatte er seine Diener mit einem Transportzaubern fort geschickt und dann ein tödliches Gift getrunken. Da er bereits eine sehr hohe Kultivierungsstufe erreicht hatte, wurde die Wirkung des Giftes stark verlangsamt. Das bedeutete, dass der Schmerz, als seine Organe vom Gift zerfressen wurden, nur noch größer und schlimmer war.
Mit einem Knarren öffneten sich die Türen des Palastes.
Mo Ran blickte nicht auf. Er sagte nur heiser: „Xue Meng. Du bist es, nicht wahr? Du bist gekommen.“
Xue Meng stand völlig allein auf dem goldenen Pflaster am Eingang der Halle, sein Pferdeschwanz flog im Wind, seine leichte Rüstung glänzte.
Es war ein Wiedersehen von zwei Schülern, die vor langer Zeit einmal in derselben Sekte ausgebildet worden waren. Dennoch zeigte Mo Rans Gesicht keinerlei Emotionen, als er so mit geschlossenen Augen da saß, sein Kinn hatte er in eine Hand gestützt, seine dichten Wimpern bildeten einen schwarzen Vorhang vor seinen Augen.
Jeder beschrieb ihn als einen schrecklichen Dämon mit drei Köpfen und sechs Armen, aber in Wirklichkeit war er unglaublich gut aussehend. Sein Nasenrücken war anmutig gewölbt und seine Lippen waren von blasser, taufrischer Farbe. Seine Züge hatten von Natur aus eine süße und sanfte Note. Nur vom Äußeren her hätte man meinen können, er sei ein freundlicher und gutmütiger Mann.
Ein Blick in dieses Gesicht und Xue Meng sah sich in seinem Verdacht bestätigt – Mo Ran hatte sich selbst vergiftet. In diesem Moment konnte er wirklich nicht sagen, welche Gefühle ihn nun bewegten, und als er den Mund öffnete, um zu sprechen, brachte er trotz allem kein Wort heraus. Im Ende ballte er nur die Fäuste und fragte: „Wo ist Shizun?“
„… Was?“
„Ich sagte: Wo ist Shizun?! Dein – mein – unser Shizun; wo ist er!?“ rief Xue Meng erneut.
„Oh.“ Mo Ran lachte leise und öffnete schließlich langsam blinzelnd seine Augen. Seine Iris war von einem so dunklen Schwarz, dass sie fast schon einen Hauch an Purpur zu enthalten schien, und man könnte meinen, dass es Jahre dauerte, bis sich sein Blick endlich auf Xue Meng scharf stellte.
„Wenn ich mich recht erinnere, haben du und Shizun euch das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen – das war der Abschied beim Taxue-Palace von Kunlun.“ Mo Ran lächelte leicht. „Xue Meng, vermisst du ihn?“
„Das reicht jetzt! Gib ihn mir zurück!“
Mo Ran blickte ihn ruhig an, während er den sich windenden Schmerz in seinem Magen ertrug. Seine Mundwinkel zuckten spöttisch, während er sich auf seinem Thron zurücklehnte. Schwärze breitete sich in seinem Blickfeld aus, und er konnte fast schon spüren, wie es seine Organe zerriss, wie sie sich auflösten und sich in einen stinkenden, blutigen Brei verwandelten.
„Ich soll ihn dir zurückgeben?“, wiederholte Mo Ran träge. „Dummkopf. Denk doch mal nach. Shizun und ich haben einen so großen Hass auf einander gehabt. Wie hätte ich es ihm erlauben können, noch weiter mit mir in dieser Welt zu existieren?”
„Du…!“ Xue Mengs Gesicht wurde weiß, seine Augen weiteten sich und er wich unwillkürlich zurück. „Du könntest nicht… du würdest nicht…“
„Ich würde was nicht?“ Mo Ran gluckste mild. „Komm, sag mir: Was würde ich nicht tun?“
Xue Mengs Stimme zitterte. „Aber er… er war dein Shizun… trotz allem war er noch dein Shizun… Wie hättest du es über dich bringen können, ihn zu töten?!“
Er hob den Kopf und blickte auf Mo Ran, der hoch oben auf seinem Thron saß. Im Himmel residierte Fuxi und Yanluo regierte die Unterwelt. Und in der Welt der Sterblichen herrschte Mo Weiyu.
Aber was Xue Meng betraf, so hätte Mo Ran, selbst wenn er Kaiser der sterblichen Welt geworden war, dennoch niemals so weit gehen dürfen. Xue Mengs ganzer Körper zitterte und Tränen voller Hass liefen ihm über sein Gesicht.
„Mo Weiyu, bist du überhaupt noch ein Mensch? Früher hat er immer…“
Mo Ran hob langsam die Brauen. „Ja, was hat er denn früher immer gemacht?“
„Du weißt ganz genau, wie er dich einst behandelt hat“, sagte Xue Meng, seine Stimme zitterte vor unterdrückten Gefühlen.
Mo Ran stieß plötzlich ein bellendes Lachen aus. „Willst du mich daran erinnern, dass er mich einst so sehr zusammen geschlagen hat, dass mein ganzer Körper mit Schnitten und blauen Flecken übersät war? Wie er mich dann zwang, vor aller Augen nieder zu knien und meine Untaten zu gestehen? Oder willst du mich daran erinnern, wie er sich mir um deinetwillen und um willen all der anderen unbedeutenden Niemande wieder und wieder in den Weg gestellt hat; wie er mich wieder und wieder daran gehindert hat, das zu tun, was ich tun wollte?“
Xue Meng biss sich auf die Lippe und schüttelte voller Schmerz den Kopf.
Nein, Mo Ran.
Denk nach. Lass deinen heimtückischen Hass los und sieh noch einmal genau zurück.
Er hat dich die Kultivierung und die Kampfkunst gelehrt, er hat dich in der Selbstverteidigung unterwiesen.
Einst hat er dich gelehrt, wie man lesen und schreiben kann; er lehrte dich zu dichten und zu malen.
Für dich hat er gelernt, zu kochen, obwohl er sich dabei immer wieder die Hände zerschnitt, weil er so ungeschickt war.
Er hat… Er hat jeden Tag darauf gewartet, dass du zurück nach Hause kommst, selbst wenn er die ganze Nacht in der Dunkelheit sitzen musste… bis zum Morgengrauen…
Es waren so viele Worte, die ihm im Hals stecken blieben. Letztendlich konnte Xue Meng nur eines herauswürgen: „Er… Er hatte ein furchtbares Temperament und alles, was er gesagt hat, war immer scharf und barsch gewesen, aber selbst ich weiß, dass er dich gut behandelt hat. Warum also hast du… wie … wie konntest du nur…?“
Xue Meng hob den Kopf, doch da er so verbissen die Tränen zurück gehalten hatte, war ihm die Kehle nun wie zugeschnürt und er konnte nicht mehr weiter sprechen,
Nach einer langen Pause wehte Mo Rans leichtes Seufzen vom Thron zu ihm hinab: „Mag sein. Aber Xue Meng, weißt du nicht mehr?“ Mo Rans Stimme klang plötzlich sehr müde. „Damals hat er auch den einzigen Menschen getötet, den ich je geliebt habe. Den einzigen.“
Lange Zeit herrschte Totenstille.
Der Schmerz in Mo Rans Bauch verdichtete sich zu einer brüllenden Feuersbrunst, während es ihm das eigene Blut verseuchte und sein Fleisch in Fetzen riss.
„Dennoch waren wir immer noch Meister und Schüler. Sein Leichnam befindet sich im Roten Lotos Pavillon auf dem Südgipfel. Er liegt in den Lotosblüten, gut erhalten, so als ob er nur schliefe.” Mo Ran hielt den Atem an und zwang sich, ruhig zu bleiben. Seine Mine blieb bei diesen Worten völlig ausdruckslos, doch seine Finger krallten sich so sehr in das rote Sandelholz der Armlehnen seines Thrones, dass selbst seine Knöchel weiß wurden. „Dass seine Leiche noch so gut erhalten ist, liegt alleine an meinen spirituellen Kräften, die ihn vor der Verwesung bewahren. Wenn du ihn vermisst, verschwende deine Zeit nicht mit mir. Geht zu ihm, solange ich noch lebe.“
Ein Kloß von sich zusammen ziehender, fauliger Süße sammelte sich in Mo Rans Kehle. Mo Ran hustete ein paar Mal, und als er den Mund wieder öffnete, waren seine Lippen und Zähne mit Blut beschmiert. Doch sein Blick war immer noch ruhig und entspannt.
„Geh“, sagte er heiser. „Geh zu ihm. Ohne meine spirituellen Kräfte wird er zu Staub zerfallen. Wenn du es nicht rechtzeitig schaffst und ich tot bin, hast du jede Chance verspielt, ihn noch einmal wieder zu sehen.“
Nachdem er diesen Satz beendet hatte, drückte er die Augen fest zu. Das Gift hatte begonnen, sein Herz zu zersetzen, und er wurde von rasendem Schmerz übermannt.
Die Qualen waren so allumfassend, dass selbst Xue Mengs heftiges Schluchzen nur noch von weit entfernt zu kommen schien, als würde seine Stimme über einen tausend Meilen weiten Ozean zu ihm hinüber wehen.
Aus seinen Mundwinkeln floss immer noch Blut. Mo Ran vergrub seine Finger in dem Stoff seiner Ärmel, während sich seine Muskeln verkrampften.
Als er seine Augen halb öffnete, sah er, dass Xue Meng bereits verschwunden war. Die Qinggong des jungen Mannes war nicht allzu schlecht, also sollte er keine Probleme haben, den Südgipfel rechtzeitig zu erreichen.
Er sollte in der Lage sein, Shizun noch ein letztes Mal zu sehen.
Mo Ran stemmte sich auf die Füße. Er wankte leicht, seine Beine zitterten. Mit seinen blutbefleckten Finger formte er ein Siegel und teleportierte sich hin zu Füßen des Himmeldurchbohrenden Turms.
Es war bereits tiefster Herbst und der Zierapfel stand in voller Blüte.
Er wusste selbst nicht, warum er sein sündiges Leben ausgerechnet hier beenden wollte, aber da der Baum so prächtig und lebendig blühte, war es ein guter Platz für ein Grab.
Mo Ran legte sich in den offenen Sarg und schaute zu den wunderschönen Blüten hinauf, die welkten und in der Nacht auf ihn hinab segelten. Sie schwebten in den Sarg herunter und streiften seine Wange. Eine nach der anderen verwehten sie im Wind wie die Vergangenheit, die langsam verblasste.
In diesem Leben, das er als uneheliches Kind mit nichts begonnen hatte, hatte er unzählige Prüfungen durchlaufen und ging zum Schluss als einziger Kaiser dieser Welt hervor.
Er war der Gipfel des Bösen, er hatte den Göttern gefrevelt und seine Hände waren mit Blut befleckt. Alle, die er einst geliebt hatten, und alle, die er gehasst hatte; alles, was er begehrte und alles, was er verabscheute – am Ende war ihm nichts mehr davon geblieben.
Am Ende hatte er sich noch nicht einmal bemüht, seinen Grabstein mit einer Inschrift zu versehen. Er hatte nichts in seiner wilden Sauklaue auf dem Stein verewigt. Es gab keinen schamlos überzogenen Titel wie „Kaiser der Ära“ oder irgendeine lächerliche Bezeichnung wie “durchgebacken“ oder „dampfend“ - er schrieb kein einziges Wort darauf. Das Grab des ersten Kaisers der Kultivierungswelt blieb am Ende namenlos.
Und so fiel nun letztendlich der Vorhang vor der Farce, die fast eine ganze Dekade lang gedauert hatte.
Erst viele Stunden später drang die Rebellenarmee mit hoch erhobenen Fackeln in den Palast des Kaisers ein, doch alles, was sie dort erwartete, war eine leere Wushan-Halle, ein verlassener Sisheng Peak und ein Roter Lotos Pavillon mit einem Xue Meng, der von den vielen Tränen betäubt auf den Boden gesunken war - in seinen Händen nur noch Asche.
Und schließlich lag vor dem Himmeldurchbohrenden Turm Mo Weiyu, dessen Leichnam bereits erkaltet war.
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Kultivierung: Eine Art der chinesischen Form, die Erleuchtung zu erlangen. In ihr werden spirituelle und kämpferische Fähigkeiten trainiert, um letztendlich in die unsterblichen Lande aufsteigen zu können – eine Ehre, die nur sehr wenigen zuteil wird. Wer es nicht schafft, steigert durch das Training dennoch seine körperliche Stärke und Ausdauer, und kann das eigene Leben verlängern. Unterrichtet wird diese Kunst meist in großen Verbänden, sogenannten Sekten.
Zierapfel/ Haitang: Eine chinesische Zierapfelsorte, die in „The Husky and his white Cat Shizun“ eine ganz besondere Rolle spielt. Die Blüten sind sehr pink, fast schon rot. In der Blumensprache steht dieser Baum für „unerwiderte Liebe“.
Zweitnamen: Im antiken China galt es als unhöflich, wenn man im förmlichen Umgang miteinander oder im Schriftverkehr den Geburtsnamen benutzte, daher hatten viele noch einen Zweitnamen. Der Gebrauch des Geburtsnamen ist jenen vorbehalten, die älter sind als man selbst, oder engen Freunden oder Ehepartnern. Der Nachname wird in China stets vor den Vornahmen gesetzt. Mo Ran würde im Westen also eigentlich Ran Mo heißen.
Namensbedeutung „Mo Ran“ und „Mo Weiyu“: Der Nachname „Mo“ wird mit dem Schriftzeichen für „Tinte“ geschrieben. Der Geburtsname „Ran“ bedeutet „verbrennen/ entzünden“. Der Zweitname „Weiyu“ bedeutet „leichter Regen“.
Kultivierungswelt: Gemeint ist hier nicht die physische Welt als Ort, sondern vielmehr das Konstrukt der Kultivierer und ihrer Sekten. Wenn Mo Ran also Kaiser der Kultivierungswelt ist, bedeutet das vor allem, dass er sich an die Spitze der Kultivierungssekten gestellt hatte. Da die Kultivierer allerdings auch großen Einfluss auf das politische Geschehen des Landes haben, kann man ihn auch gleich als Kaiser über das einfache Volk bezeichnen. In der Welt der Kultivierung sind Kampftechniken, Zauber und Flüche an der Tagesordnung, von der die normale Sterblichen nur träumen können. Kultivierer steht auch stärker mit der Welt der Geister in Kontakt, da es zu ihren Aufgaben gehört (meist gegen Bezahlung) das einfache Volk vor Dämonen, Bestien und Geistern zu schützen.
Taxian-Jun: Bedeutet so viel wie „der Herr, der die Unsterblichen nieder trampelt“. Die Bezeichnung „Unsterblicher“ ist eine sehr höfliche Bezeichnung für einen (bereits herausragenden) Kultivierer. Mit der Kultivierung versuchen die Menschen am Ende in die unsterblichen Lande zu kommen und aus dem Kreis der Wiedergeburt auszubrechen, also quasi Unsterblichkeit zu erlangen, daher diese Umschreibung.
Wang Ba: Übersetzt bedeutet dieser Name „Schildkröte“, wird aber umgangssprachlich auch für einen betrogenen Ehemann oder einen Bastard verwendet. Eventuell hatte Mo Ran vor, mit dem Namen auf eine langlebige Herrschaft anzuspielen („Schildkröte“), machte den Namen mit der zweideutigen Bezeichnung gleichzeitig auch lächerlich.
Gua: Dies ist der chinesische Ausdruck für „Quaken“.
Yi Ba: Bedeutet übersetzt eigentlich „Ende der Kämpfe“ bzw. „waffenlos“, teilt aber eine ähnliche Aussprache mit einer vulgären, umgangssprachlichen Bezeichnung für „Penis“.
Yi Ba Yuan Nian: „Yuan“ bedeutet „das erste“, es gibt aber auch ein „Yuan“, das genauso ausgesprochen, aber mit einem anderen Schriftzeichen geschrieben wird. Dieses bedeutet „Eier/ Klöten“.
-gonzi: Im Chinesischen werden Titel und Bezeichnungen, die Auskunft über die Beziehung der handelnden Personen untereinander geben, meist direkt an den Namen als Vor- oder Nachsilbe angehängt. Die Nachsilbe -gonzi wird verwendet um einen jungen Herren oder Meister einer wohlhabenden oder angesehenen Familie zu adressieren.
-shizun: Eine geschlechtsneutrale Bezeichnung für „Meister/ Lehrer“. In den Sekten der Kultivierung ist es der Shizun, der seine handverlesene Schülerschar unterrichtet. Dass die Schüler verschiedene Lehrmeister haben, ist eher ungewöhnlich. Stattdessen wird ihre Ausbildung und ihr Training meist nur von einem überwacht. Eine weitere Bezeichnung für „Meister“ lautet „Shifu“, doch „Shizun“ ist noch ein bisschen respektvoller.
-zhongshi: Eine Nachsilbe, die Menschen zukommt, die mit herausragenden Fähigkeiten gesegnet sind. Lässt sich auch mit „Großmeister“ übersetzen und wird in „The Husky and his white Cat Shizun“ vor allem bei Kultivierern gebraucht.
Gräber: In China ist es Sitte, den Toten neben Blumen auch Schmuck und Speisen an das Grab zu bringen.
Wontons: Gefüllte, asiatische Nudelteigtaschen, die man gebraten oder in einer Suppe gekocht genießen kann.
Qinggong: Eine Fähigkeit von Kultivierern, mit der sie sich sehr schnell fortbewegen können. Es sind große Sprünge in der Luft
Ich weiß noch, als ich dieses Kapitel (auf englisch) das erste Mal gelesen habe, ist mir halb die Lust auf das ganze Buch vergangen - und das lag vor allem an den ganzen Erklärungen und verschiedenen Bedeutungen der chinesischen Namen (ich sage nur die Jahresbezeichnungen!). Ich dachte mir so: "Also wenn das das ganze Buch so weiter geht, bin ich nach drei Kapiteln raus!" Glücklicherweise ist das nur in dem ersten Kapitel so krass - die folgenden werden besser! :D
AntwortenLöschenEine gute Übersetzung mit ein paar komischen Eigenheiten. Mit weniger Erklärungen mitten im Textgeschehen (,also alles nach ganz unten zu verlinken oder unten als Anhang quasi alle Bezeichnungen aufzulisten) wäre es einfacher der Story zu folgen.
AntwortenLöschenIch habe ein paar Fragen:
1. Wieso wechselst du zwischen den Bezeichnungen "Kultivierungswelt“ und “ Welt der Kultivierung“. Das ist irreführend und leicht nervig. Vor allem da sich “Welt der Kultivierung“ zu lange liest und einen schnell ermüden lässt.
2. Warum heißt es Sisheng Peak? Ich weiß, dass der chinesische Namen wörtlich übersetzt ellenlang ist, aber dann nenn ihn doch Sisheng Gipfel, aber mitten im deutschen englische Begriffe zu lesen, klappt eher schlecht, da nicht jeder englisch kann. Um deshalb zu deiner Übersetzung greift. (Ausnahmen sind solche Wörter die keine korrekte deutsche oder ähnliche Bezeichnung haben wie zum Beispiel One Nights Stand.)
3. Wenn du schon Begriffe erklärst, wieso markierst du sie im Satz nicht farbig? Erst recht wenn es ein längerer Absatz ist, ist Erklärung eher irreführend und man muss erst den erklärenden Begriff suchen.
4. Wieso kommen immer wiederkehrende Begriffe wie Mo Rans Namenbedeutung, Kultivierungswelt, usw. nicht in einen Glossar oder so?
Das erleichtert es einen bei der Story zu bleiben und man kann manche Begriffe schneller und einfacher nachschlagen.
5. Wieso schreibst du immer Großmeister Chu nur um ihn dann irgendwann Chu-zongshi zu nennen? Wäre es nicht einfacher bei Großmeister Chu die Zongshi Erklärung einzufügen, sodass man alles einheitlich hat.
Wow, also erst mal danke, für das ausführliche Lesen und deine konstruktive Kritik - ich freue mich über jedes Feedback.
LöschenDass ich die Erklärungen direkt in den Text einbaue, hat den Grund, weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, dass es sehr im Lesefluss stört, wenn man plötzlich zum Ende der Seite springen muss (und zurück), um eine Fußnote zu lesen. Deshalb markiere ich Erklärungen im Text immer farbig, damit man sie von der Story unterscheiden und auch gerne überspringen kann. Den Hinweis 3 mit der farbigen Markierung im Fließtext nehme ich aber gerne an. Wenn ich die Sachen das erste Mal erkläre, ist das wirklich sinnvoll.
Zu Frage 1 und 5: Ich bin kein Fan davon, wenn sich Wörter oder Wortgruppen in einem Textabschnitt zu oft wiederholen. Deshalb baue ich manche Wörter etwas anders um ("Kultivierungswelt" bzw. "Welt der Kultivierung"), damit es nicht zu eintönig wird. Genauso mache ich das auch bei "Großmeister" - wobei ich im weiteren Text auch mehr die chinesische Variante "-zongshi" nutzen werde.
Zu Frage 2: Gut, das nehme ich auf meine Kappe und es ist zugegebenermaßen ein "Fehler", den ich nicht korrigieren möchte - sorry! Aber ich habe mich einfach so in die Bezeichnung verliebt, sodass ich den Hauptort der Handlung nicht mehr umbenennen möchte - betrachtet es als Teil des Eigennamens (siehe Glossar).
Das und Frage 4 betreffend: Es gibt tatsächlich einen Glossar zu dieser Seite. Falls du über dein Smartphone liest, gehe bitte zur "Startseite" und dann oben links auf das kleine Burgermenu (3 Striche untereinander) - da siehst du dann alle Seiten dieses Blogs. Tatsächlich habe ich auch einen Button zum Glossar unter der Webseitenbeschreibung angelegt, doch bei der Mobilversion wird der leider abgeschnitten :/
Also, ich hoffe ich habe dich nicht verschreckt und du wirst weiter lesen. Falls du andere Anmerkungen hast, schreib sie gerne in die Kommentare.
Hinweis: Dieses Kommentar bezog sich auf eine ältere Version der Seite, wo Erklärungen noch direkt unter den entsprechenden Absätzen standen. Die Seite hat ein Update bekommen und Erklärungen zu bestimmten Begriffen stehen nun am Seitenende. Das ist alles verlinkt, sodass man leicht hin- und herspringen kann.
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