Kapitel 5 - Dieser Ehrwürdige hat nicht gestohlen
Mo Rans Untaten in seinem ersten Tag als wiedergeborener Kultivierer bleiben nicht folgenlos: Rong Jiu ist zum Sisheng Peak gekommen, um sich zu beschweren und Gerechtigkeit zu fordern.
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Die Halle der Treue war hell erleuchtet. Shi Mei hatte sich bereits von den beiden verabschiedet, und so folgte Mo Ran alleine und leicht verwirrt Xue Meng in das Gebäude hinein. Als er aber einen Blick auf die Szene im Inneren warf, verstand er sofort.
Es war Rong Jiu, dieser Schönling. Er hatte wirklich den Mumm, zum Sisheng Peak zu kommen, um sich darüber zu beschweren, dass Mo Ran ihm vor seinem Verschwinden all sein Geld gestohlen hatte.
Rong Jiu schmiegte sich gerade in die Arme eines großen, bulligen Mannes und weinte jämmerlich – ganz dem Bild einer schwachen, klagenden Prinzessin entsprechend. Als Mo Ran und Xue Meng die Halle betraten, wurde sein Schluchzen noch um drei Oktaven höher. Es schien, als ob er ohne den Mann, der ihn in seinen Armen hielt, mit Schaum vor dem Mund in Ohnmacht fallen würde.
Etwas erhöht in der Mitte des Raumes saß hinter einem Perlenvorhang eine zierliche Frau, die ziemlich ratlos wirkte. Mo Ran hatte für das widerwärtige Paar in der Halle nicht mehr als nur einem kurzen Seitenblick übrig und er grüßte stattdessen die Frau auf dem Podium: „Tantchen, ich bin wieder da.“
Diese Frau war die Herrin des Sisheng Peaks, Madam Wang.
Anders als die heldenhaften Kultiviererinnen, die ihren männlichen Kollegen an Stärke und Kraft in nichts nachstanden, war sie eine bescheidene, sanftmütige Haushüterin, die sich nicht mit Angelegenheiten außerhalb der Sekte befasste. Sie hatte absolut keine Ahnung, wie sie in Abwesenheit ihres Mannes seine Geschäfte und Pflichten übernehmen sollte. Zaghaft sprach sie: „A-Ran, du bist endlich zurück.“
Mo Ran tat so, als ob die beiden Kläger in der Halle überhaupt nicht existieren würden, stattdessen lächelte er sie an und sagte: „Es ist schon so spät und doch bist du noch wach. Tantchen, hast du auf mich gewartet?“
„Ähm, ja. Siehst du, Rong-gongzi hier sagt, ... du hättest sein Geld genommen..."
Madam Wang war sehr feinfühlig und sensibel und es war ihr zu peinlich zu sagen, dass Mo Ran ein Bordell besucht hatte, also sprach sie stattdessen das kleinere Vergehen an.
Mo Rans Augen bogen sich leicht zu einem Lächeln hin. „Tatsächlich? Ich bin nicht gerade knapp bei Kasse, also wozu sollte ich sein Geld brauchen? Abgesehen davon, kann ich mich an die beiden überhaupt nicht erinnern. Kennen wir uns denn?“
Der große Mann grinste: „Mein Nachname ist Chang, ich bin das Oberhaupt meiner Familie. Ich bin ein Geschäftsmann und schere mich nicht groß um triviale Formalitäten, also könnt ihr mich einfach Chang Da nennen.“
Mo Ran lächelte leicht und vertauschte absichtlich den Vor- und Nachnamen: „Ah, du bist also Da Chang-gongzi. Verzeih’ bitte mein unhöfliches Benehmen, es ist mir eine große Ehre. Und dieser andere Gentleman ist dann…?“
Chang Da-gongzi sagte spöttisch: „Hehe, der junge Meister Mo stellt sich wirklich dumm. Du und ich, wir beide treffen uns tatsächlich zum ersten Mal, aber du hast in diesem Monat an 15 von 30 Tagen in Rong Juis Bett geschlafen. Und doch behauptest du ihn nicht wieder zu erkennen? Bist du blind?“
Mo Ran ließ sich davon nicht beeindrucken und er sah Rong Jiu lächelnd an: „Was, mit dem hier? Du willst mir wohl was anhängen, was? Ich bin ein ehrenwerter Mensch und habe weder mit einem Rong San noch mit einem Rong Jiu geschlafen.“
Rong Jius Gesicht wurde rot vor Wut, doch er hielt seine Maskerade aufrecht, er schmiegte sich noch enger an Chang Da's Brust und schluchzte: „M-Mo-gongzi, ich weiß, dass mein Status sehr niedrig und auch unziemlich ist... Wenn du mich nicht so schamlos ausgebeutet hättet, wäre ich nicht hierher gekommen. Aber nun tust du sogar so, als würdest du mich nicht einmal kennen, ich... ich...“
„Ich kenne dich wirklich nicht“, sagte Mo Ran in einem Tonfall, als wäre er hier derjenige, dem gerade Unrecht angetan wurde. „Ich kann nicht einmal sagen, ob du ein Mann oder eine Frau bist. Wie hätten wir uns da vorher schon einmal treffen können?“
„Gestern Abend erst hast du meine Dienste noch in Anspruch genommen! Wie kannst du jetzt so kaltherzig sein? Chang-gongzi, Chang-gongzi, bitte, du musst für mich Gerechtigkeit fordern.“ Während er das sagte, vergrub Rong Jiu sich noch tiefer in Chang Da’s Armen und sein Schluchzen steigerte sich nochmals um eine Stufe.
Xue Mengs Gesicht hatte sich inzwischen grau gefärbt und seine gerunzelten Augenbrauen zuckten, als er diesem absurden Wortwechsel lauschte. Es schien, als hätte er ohne seine Selbstbeherrschung als junger Meister und Nachfolger des Sektenleiters dieses abstoßende Paar schon längst den Berg hinuntergeprügelt.
Chang Da-gongzi strich über Rong Jius Haar, er sprach ein paar tröstende Worte zu ihm und hob dann den Kopf, als er drohend verkündete: „Madam Wang, der Sisheng Peak ist eine rechtschaffene Sekte, aber der junge Mo-gongzi hier verhält sich einfach nur anstößig und verachtenswert! Jiu-er hat sich sein Geld durch harte Arbeit verdient, damit er sich schon bald damit seine Freiheit erkaufen kann. Aber dieser Schuft Mo-gongzi hat Jiu-er nicht nur misshandelt, er hat ihn auch noch seiner hart verdienten Schätze beraubt. Die Familie Chang mag vielleicht keine Kultivierer in ihren Reihen haben, doch wir sind schon seit Generationen Geschäftsmänner. Wir sind wohlhabend und einflussreich. Wenn eure Sekte uns heute kein zufriedenstellendes Ergebnis liefert, werdet ihr in Sichuan schon bald weit größeren Problemen gegenüber stehen!“
Madam Wang geriet in Panik: „Ah... Bitte beruhigt euch wieder, Chang-gongzi, ich, ich...“
Mo Ran grinste innerlich. Die Familie Chang waren Salzhändler und sie hatten einen Haufen Geld. Wer würde es ernsthaft glauben, dass der älteste Sohn der Familie da nicht fähig wäre, Rong Jiu freizukaufen? Und dass er stattdessen seinen Jui-er zwingen musste, selbst all das Geld aufzutreiben? Diese ganze Situation war schon ziemlich verdächtig - um es gelinde auszudrücken.
Äußerlich aber hatte sich an seinem Lächeln nichts geändert. „Aha, dann ist Da Chang-gongzi also der Sohn der wohlhabendsten Kaufmannsfamilie in Yizhou. Du bist wirklich so eindrucksvoll und gebieterisch, wie man sich erzählt. Ganz prächtig. Ja, wirklich sehr bewundernswert.“
Chang Da-gongzi wirkte nun ausgesprochen selbstgefällig: „Hm, du scheinst deinen Platz ja doch zu kennen. Warum machst du es uns nicht allen leichter und gibst es endlich zu? Wo sind Jiu-ers Sachen? Beeile dich und gib sie zurück.“
Mo Ran lächelte immer noch und sagte: „Ich bin nur neugierig, denn immerhin bedient dein Jui-er am Tag viele Freier. Selbst wenn ihm etwas gestohlen wurde, warum werde ausgerechnet ich beschuldigt?“
„Du!“ Chang Da-gongzi knirschte mit den Zähnen und grinste dann: „Na gut, schön! Ich wusste, dass du versuchen würdest, dich hier raus zu winden. Madam Wang, wie Sie sehen, ist der junge Mo-gongzi völlig unvernünftig und weigert sich, seine Taten zuzugeben. Ich habe nicht vor, noch länger meine Worte an ihn zu verschwenden. Sie haben das Sagen, und es liegt an Ihnen, eine Entscheidung in dieser Angelegenheit zu treffen!“
Madam Wang wusste nur sehr wenig darüber, wie man sich in solchen Situationen verhielt. Sie war so nervös, dass sie nur stottern konnte: „Ich... A-Ran... Meng-er...“
Xue Meng konnte nicht tatenlos zusehen, wie seine Mutter so in die Ecke gedrängt wurde. Er trat vor und sagte grimmig: „Chang-gongzi, im Sisheng Peak gibt es sehr strenge Disziplinarmaßnahmen. Wenn das, was du gesagt hast, wahr ist und Mo Ran wirklich gegen die Gebote der Habgier und der Unzucht verstoßen hat, wird das für ihn ernste Konsequenzen haben. Aber das sind bisher nur Anschuldigungen. Du sagst, Mo Ran hätte etwas gestohlen - gibt es dafür irgendwelche Beweise?“
Meister Chang Da grinste: „Ich wusste bereits, dass Eure Sekte hohe Ansprüche hat, deshalb bin ich auch hierher geeilt und gleich zu Madam Wang gegangen, um sie zur Rede zu stellen, bevor Mo Ran zurück kam.“ Er räusperte sich und sagte: „Hört alle gut zu: Jui-er hat zwei Perlen, zehn Goldbarren, ein Paar goldene Armbänder mit Pflaumenblütenornamenten, ein Paar Haarnadeln aus Jade und einen Jade-Anhänger in Form eines Schmetterlings verloren. Durchsucht Mo Ran einfach. Wenn er diese Dinge bei sich hat, werdet ihr wissen, ob ich falsche Anschuldigungen erhoben habe oder nicht.“
„Was gibt euch bitte das Recht, mich zu durchsuchen und meinen Körper abtasten zu wollen?“, warf Mo Ran ein.
„Hmph, höre ich da das schlechte Gewissen raus?“ Chang Da-gongzi reckte arrogant sein Kinn. „Madam Wang, wie bestraft der Sisheng Peak die Vergehen des Diebstahls und der Ausschweifung?“
Madam Wang flüsterte: „Diese... Sektenangelegenheiten waren schon immer die Sache meines Mannes. Ich weiß wirklich... nicht...“
„Verdächtig. Oh ja, sehr fragwürdig. Ich glaube, Madam Wang stellt sich hier absichtlich dumm, um ihren Neffen zu schützen. Haha, wer hätte denn geglaubt, dass der Sisheng Peak ein so schmutziger und korrupter Ort ist -“
„Das reicht jetzt aber. Meine Tante hat bereits gesagt, dass sie nicht weiß, wie man solche Dinge anpackt. Bist du immer noch nicht fertig damit, eine Frau zu schikanieren?“, unterbrach ihn Mo Ran schroff, der schließlich genug von dem Geschwätz hatte. Selbst das sorglose Lächeln, das normalerweise auf seinem Gesicht lag, war nun verschwunden. Er warf den beiden verschlagenen Gestalten einen langen Seitenblick zu. „Also gut, ihr könnte mich durchsuchen. Aber was wird geschehen, wenn ihr nichts findet und sich all das als verleumderischen Anschuldigungen gegen meine Sekte entpuppt?“
„Dann werde ich mich sofort bei dem jungen Meister Mo entschuldigen.“
„In Ordnung“, willigte Mo Ran rasch ein. „Aber eins noch: Wenn du dich irrst, musst du als Entschuldigung auf die Knie gehen und den ganzen Sisheng Peak hinunterkriechen."
Als er Mo Rans Zuversicht sah, konnte Chang Da, der sich seiner Sache anfangs so sicher gewesen war, nicht anders, als leichten Zweifel zu verspüren.
Seit seiner Kindheit war er auf die Unsterblichen neidisch gewesen, aber er selbst hatte nie das Talent zur Kultivierung gehabt.
Vor ein paar Tagen hatte er gehört, dass sein alter Freund Rong Jiu tatsächlich die Gunst von Mo Ran gewonnen hatte, und die beiden hatten eine Vereinbarung getroffen: Rong Jiu würde eine Möglichkeit finden, Mo Ran die Kultivierungsbasis zu entziehen, und der junge Meister Chang würde Rong Jiu freikaufen. Außerdem würde Rong Jiu in den Haushalt der Changs aufgenommen werden, wo er beschützt werden würde und ein sorgenfreies Leben führen könnte.
Der junge Meister Chang Da strebte nach Unsterblichkeit, Rong Jiu nach Geld; die beiden hatten ähnliche Ambitionen, und ergänzten sich gut in ihrem Mangel an Skrupel.
In seinem letzten Leben war Mo Ran auf ihren Plan hereingefallen. Am Ende hatte er ihnen das dann heimzahlen können, doch er selbst hatte auch einiges an Schaden davon getragen. Aber in diesem Leben würden die beiden dazu keine Chance mehr bekommen, da Mo Ran nun eine plötzliche Kehrtwende gemacht hatte – angeblich ohne jeden Grund. Vor ein paar Tagen hatte er noch betrunken in Rong Jius Armen gelegen und er hatte von nichts anderem als von seinem „Jiu-er“ gesprochen. Doch an diesem Morgen hatte er Rong Jiu gleich zweimal gewaltsam gevögelt und danach völlig aus der Kalten heraus dessen Habseligkeiten und Wertgegenstände zusammen gesucht - und war dann davon gelaufen.
Der junge Meister Chang Da war so wütend geworden, dass er Rong Jiu gleich mit zum Sisheng Peak geschleppt hatte, um sich gekonnt zu beschweren.
Dieser Salzhändler war ein zwielichtiger und gerissener Geschäftsmann, und er war überzeugt davon, dass, wenn Mo Ran auf frischer Tat ertappt werden würde, er Madam Wang dazu zwingen könnte, Mo Rans Kultivierungsbasis zu zerstören. Deshalb hatte er extra einen Jadeanhänger mitgebracht, damit er die zerstörte Kultivierungsbasis dann selber würde absorbieren können, um sie dann später mit seinem eigenen Qi zu verschmelzen.
Als er aber nun sah, wie selbstsicher Mo Ran war, zögerte der junge Meister Chang.
Auch Mo Ran war ein ziemlich verschlagener Zeitgenosse. Wer konnte schon sagen, ob er die gestohlenen Sachen nicht schon längst verkauft hatte und nun nur noch darauf wartete, ihnen eins auszuwischen?
Allerdings waren sie jetzt schon so weit gekommen. Es wäre ein Jammer, nun aufzugeben. Vielleicht bluffte der Kerl ja nur...
In Chang Da’s Kopf drehten sich die Gedanken immer noch im Kreis, aber Mo Ran hatte bereits begonnen, sich auszuziehen.
Freudig entledigte er sich seines Obergewands und warf es lässig zur Seite, dann lächelte er und machte eine einladende Geste: „Du kannst gerne mit deiner Suche beginnen. Lass dir ruhig Zeit.“
Im Vorfeld war so viel geredet und gestritten worden. Doch bei der Untersuchung wurde bei Mo Ran außer etwas angelaufenem Silber nichts gefunden, und das Gesicht des jungen Meisters Chang verzerrte sich: „Wie kann das sein? Unmöglich! Das ist doch bestimmt irgendeine Art an Trick!“
Mo Ran blinzelte einmal mit seinen violett gesprenkelten Augen, strich sich dann über sein Kinn und sagte: „Du hast mein äußere Robe zehnmal durchsucht und meinen ganzen Körper sieben- oder achtmal abgetastet. Das Einzige, was ich noch tun könnte, wäre, mich völlig nackt auszuziehen. Willst du immer noch nicht aufgeben?“
„Mo Ran, du...“
Mo Ran schien eine plötzliche Eingebung zu haben: „Ah, ich verstehe. Da Chang, hast du das alles nur getan, weil du auf mich stehst? Du hast dieses ganze Spektakel nur veranstaltet, um mich auszunutzen und heimlich anzufassen, oder?“
Der junge Meister Chang Da stand am Rande einer Ohnmacht, so wütend war er. Er deutete auf Mo Ran, unfähig etwas zu sagen und sein Gesicht leuchtete feuerrot. Xue Meng, der das Ganze von der Seite aus beobachtete hatte, hatte schon lange die eigene Geduldsgrenze erreicht. Obwohl er Mo Rans Handeln nicht nachvollziehen konnte, war Mo Ran ein Schüler des Sisheng Peaks, und Außenstehende hatten kein Recht, diese Sekte und ihre Mitglieder nieder zu machen.
Xue Meng trat ohne jede Spur an Höflichkeit nach vorn. Er hob die Hand und knickte Chang Da’s Finger, mit dem er immer noch auf Mo Ran deutete, ohne zu Zögern nach hinten um. Wütend fuhr er ihn an: „Wir haben dich jetzt die halbe Nacht lang unterhalten, und das alles nur für einen Scherz?!“
Chang Da schrie vor Schmerz und hielt sich den Finger: „Du - Wie kannst du nur! Du musst da mit drinstecken! Kein Wunder, dass die Sachen bei Mo Ran nicht zu finden sind, du musst sie für ihn versteckt haben! Zieh dich auch aus! Ich werde auch dich durchsuchen!“
Xue Meng ging vor Scham und Wut fast an die Decke. Jemand hatte es wirklich gewagt, ihm zu befehlen, sich auszuziehen?! „Schamlos! Glaubst du, deine Hundepfoten sind es wert, auch nur den Saum meiner Kleider zu berühren? Raus hier!“
Der junge Meister hatte gesprochen, und die Diener, die nun schon lange in der Halle der Treue ausgeharrt und dieser Farce zugesehen hatten, schwärmten sofort aus, um dieses einfache Pack aus der Halle zu entfernen. Die zwei hatten keine Chance mehr und wurden gehörig von dem Berg vertrieben.
Chang Da’s zorniges Gezeter war noch lange als fernes Echo zu hören: „Mo Ran, es ist noch nicht vorbei! Mit dir offen haben wir noch eine Rechnung offen!“
Mo Ran stand vor der Halle der Treue und blickte in die Nacht. Seine Augen bogen sich zu einem Lächeln, als er nun seufzte: „Wow, da hab ich aber Angst.“
Xue Meng warf ihm einen kalten Blick zu: „Wovor hast du Angst?“
Mo Ran sagte mit aufrichtiger Sorge: „Er verkauft doch Salz. Ich habe Angst, dass ich in Zukunft kein Salz mehr kaufen kann."
Xue Meng war einen Moment lang sprachlos und fragte dann: „Du hast diese Prostituierte wirklich nicht gevögelt?“
„Nope.“
„Und du hast wirklich nichts von ihm gestohlen?“
„Nope.“
Xue Meng schnaubte kalt: „Das glaube ich dir nicht.“
Mo Ran hob seine Hand und lachte: „Wenn ich lüge, soll’n mich die Blitze des Himmels treffen.“
Xue Meng hob plötzlich seine Hand und packte fest Mo Rans Arm. Mo Ran sah ihn verwirrt an. „Was tust du da?“
Xue Meng schnaubte und sagte dann schnell eine Beschwörungsformel auf. Mit einem leicht klirrenden Geräusch rutschten ein paar sojabohnengroße Perlen aus Mo Rans Ärmel und fielen auf den Boden.
Xue Mengs Handfläche füllte sich mit spiritueller Energie, und er schwenkte sie über die Perlen. Die Perlen schimmerten, wurden immer größer und verwandelten sich schließlich in einen Haufen Schmuck: Geld, mit Pflaumenblüten verzierte Armbänder, Jade-Ohrringe... Ein Haufen Goldschätze lag auf dem Boden zu ihren Füßen.
„Wir sind beide Schüler derselben Sekte,“ sagte Mo Ran nach einer kurzen Pause. „Warum willst du jetzt eine Szene machen?"
Xue Mengs sah ihn düster an: „Mo Weiyu, hast du wirklich keine Scham mehr?“
„He he.“
Xue Meng fauchte wütend: „Niemand außer dir findet das lustig!“
Mo Ran seufzte: „Willst du das ich jetzt auf Kommando zu heulen beginne? Sorry, das kann ich nicht.“
Xue Meng schnitt eine Grimasse und sagte: „So benutzt du also die Verschleierungstechnik des Sisheng Peaks?“
„Nun, wir alle müssen sie lernen und anwenden.“
„Dieser Hund von einem Salzhändler hat mir den letzten Nerv geraubt“, fuhr Xue Meng wütend fort. „Deshalb habe ich mich vor ihm zurückgehalten. Ich wollte dir keinen Vortrag halten, wenn er mit dabei ist, aber in einem hatte er recht: Wenn du die Vergehen des Diebstahls, der Unzucht und des Lügens begehst, wirst du immer bestraft werden, ganz egal aus welcher Sekte du stammen solltest!"
Mo Ran ließ sich nicht einschüchtern, er lächelte nur: „Und was wirst du nun tun? Willst du auf Onkel warten, bis er wider da ist und dich dann bei ihm beschweren?“
Das bereitete ihm nicht im mindesten Sorgen. Sein Onkel verwöhnte ihn von vorn bis hinten. Alles, was passieren würde, war, dass er ihn ein bisschen tadelte - mehr nicht. Dieser Mann könnte es niemals über sich bringen, seinen Neffen zu schlagen.
Xue Meng drehte sich um und strich sich das vom Wind zerzauste Haar aus dem Gesicht. Seine Augen leuchteten voller Hochmut in der dunklen Nacht. „Mein Vater? Nein, Paps ist nach Kunlun gegangen und er wird erst in in ein oder zwei Monaten zurück sein.“
Mo Rans Lächeln gefror, und plötzlich verspürte er ein vages Gefühl der drohenden Gefahr. Er musste plötzlich noch an jemanden anderen denken.
Aber… Wenn dieser Mann da wäre, wäre er es gewesen, der Chang Da heute Abend in der Halle der Treue empfangen hätte, und nicht Madam Wang, die ja kaum einmal drei Fragen gut beantworten konnte.
Dieser Mann... konnte nicht da sein… oder?
Xue Meng sah die Furcht in Mo Rans Augen, und seine verächtliche Arroganz wurde nur noch größer. „Paps verwöhnt dich viel zu sehr, aber gibt es hier auf dem Sisheng Peak nicht noch jemanden, der dich nicht verhätscheln wird?“
Mo Ran machte langsam ein paar Schritte rückwärts und zwang sich zu einem Lächeln: „Mein lieber Cousin, es ist schon so spät. Lasst uns die Ruhe unseres Ältesten nicht stören. Ich weiß ja, dass es nicht richtig war. Ich werde es nicht wieder tun, okay? Geh zurück auf dein Zimmer und ruh’ dich aus, du siehst so müde aus.“
Und dann rannte er davon.
Das muss doch wohl ein Witz sein! Dieser Bastard Xue Meng geht viel zu weit!
Gerade jetzt war er nicht mehr Taxian-Jun, er war nicht mehr der Kaiser der Sterblichen, also wie konnte er es da riskieren, dieser einen ganz bestimmten Person heute Nacht in die Hände zu fallen? Wenn dieser Kerl wüsste, dass er gestohlen und außerdem noch die Dienste einer Prostituierten in Anspruch genommen hatte, würde er ihm auf der Stelle die Beine brechen! Und wenn er jetzt nicht floh, würde sich ihm nicht noch mal die Chance dazu bieten!
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Nachname: In China wird der Nachname stets vor dem Vornamen genannt. Was Chang Da hier als „normale“ Anrede anbietet, heißt, dass er von seinem Gesprächspartner keine ergänzenden Namenssilben (wie zum Beispiel „-gongzi“), die auf seinen Rang hinweisen, fordert.
Da Chang: In dieser Anordnung und wenn man die Schriftzeichen ein wenig anders ausspricht (so wie Mo Ran es gerade tut, um Chang Da zu ärgern), bedeutet Da Chang „großer Darm“.
-er: Die Nachsilbe -er steht für „Sohn“ oder „Kind“. Es ist eine Verniedlichung und wird bei Zuneigung und sehr vertrauten Beziehungen gebraucht.
Qi: Dies ist die Energie in allen lebenden Dingen. Sie kann sowohl gut wie auch böse sein. Ein Kultivierer versucht stets das eigene Qi zu verfeinern, in dem er natürlich vorkommendes Qi seiner Umgebung in sich aufnimmt, es in sich veredelt und dann damit die eigene Kultivierungsbasis ausbaut. Der Stärke eines Kultivierers wird meist daran gemessen, wie viel Qi er maximal in sich tragen kann. Abgelegene natürliche Orte wie Wasserfälle, Höhlen und Berggipfel besitzen meist ein sehr reichhaltiges Reservoir an natürlichem Qi und wenn man dort trainiert, kann man in der eigenen Kultivierung große Fortschritte erzielen. Das angesammelte Qi im Körper kann dann genutzt werden, um das eigene Leben zu verlängern, mächtige Waffen zu beschwören, Zauber und spezielle Kampftechniken zu wirken oder die eigenen Sinne auf ein übermenschliches Maß zu schärfen.
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